Reichs= und Staatsangehörigkeit. 417
verweigert werden kann. Die bisherige soziale Freizügigkeit ist also zu einer politischen
erweitert. Dagegen hat der Einzelstaat seinerseits nicht das Recht, den Eingewan-
derten zur Erwerbung des Staatsbürgerrechts anzuhalten, so daß also die Staaten
hinsichtlich der Staatsangehörigkeit schlechter gestellt sind, als die Gemeinden hinsichtlich
der Gemeindeangehörigkeit — eine Bestimmung, die erst noch durch weitere Erfahrungen
sich zu erproben hat. Wiederum erfolgt der Erwerb des Staatsbürgerrechts durch eine
von der höheren Verwaltungsbehörde auszustellende Aufnahmeurkunde, die kostenfrei
ertheilt werden muß; nicht aber, wie vorgeschlagen war, durch eine bloße Meldung;
wiederum begründet die Aufnahmeurkunde von dem Zeitpunkte der Aushändigung an
alle mit der Staatsangehörigkeit verbundenen Rechte und Pflichten; wiederum endlich
erstreckt sich die Staatsangehörigkeit in der Regel auch auf die Familie des Auf-
genommenen.
5) Durch Anstellung im öffentlichen Dienste des Reiches oder eines Bundes-
staates vermöge einer von einer Central= oder höheren Verwaltungsbehörde voll-
zogenen oder bestätigten Bestallung, so daß also ebensowol die Anstellungen im mittel-
baren wie im unmittelbaren Staatsdienst die Naturalisations= oder Aufnahmeurkunde
ersetzen können, während andererseits nicht jede Anstellung diese Wirkung nach sich
zieht. Wenn übrigens die Anstellung eines Ausländers im Reichsdienste erfolgt ist,
so erwirbt der Angestellte die Staatsangehörigkeit in demjenigen Bundesstaate, in
welchem er seinen dienstlichen Wohnsitz hat, oder nach seiner Wahl, insofern der
dienstliche Wohnsitz im Auslande liegt (Gesetz vom 20. Dez. 1875).
B. Der Verlust der R.= und S. erfolgt, abgesehen von Legitimation und Ver-
heirathung:
1) Durch Ausschluß wegen gewisser Handlungen, sog. Expatriation, in doppelter
Weise, je nachdem es sich entweder um solche handelt, die schon im Auslande sich
aufhalten, oder um solche, die bisher im Inlande gelebt haben. Deutsche, welche
sich im Auslande aufhalten, können durch Ausspruch der Centralbehörde des Heimaths-
staates ihrer Staatsangehörigkeit verlustig erklärt werden, wenn sie im Falle eines
Krieges oder einer Kriegsgefahr einer durch den Kaiser anzuordnenden ausdrücklichen
Aufforderung zur Rückkehr binnen der darin bestimmten Frist keine Folge leisten.
Dasselbe gilt auch ohne den Fall des Krieges oder der Kriegsgefahr von Denjenigen,
welche ohne Erlaubniß ihrer Regierung in fremde Staatedienste getreten sind, und
trotz der erhaltenen Aufforderung zur Rückkehr in denselben verbleiben. Außerdem
können Geistliche und andere Religionsdiener in Gemäßheit des RGes. vom 4. Mai
1874, betr. die Verhinderung der unbefugten Ausübung von Kirchenämtern, durch
Verfügung der Centralbehörde des Heimathsstaates, resp. durch die Landespolizei-
behörde in den beiden Fällen ihrer Staatsangehörigkeit verlustig erklärt und aus dem
Bundesgebiete ausgewiesen werden, wenn sie entweder durch gerichtliches Urtheil aus
ihrem Amte entlassen sind und hierauf eine Handlung vorgenommen haben, aus der
hervorgeht, daß sie dennoch das Amt sich anmaßen, resp. thatsächlich ausüben, oder
wenn sie deshalb zu einer Strafe verurtheilt sind, weil sie Amtshandlungen in einem
Kirchenamte vorgenommen haben, das den Vorschriften der Staatsgesetze zuwider
ihnen übertragen worden ist. Der Wiedererwerb der so verlorenen R.= und S.
kann nur mit Genehmigung des Bundesraths erfolgen.
2) Die Auswanderung führt nach Deutschem Reichsrecht einen Verlust der
Staatsangehörigkeit nur dann herbei, wenn sie entweder auf Grund einer beantragten
Entlassungsurkunde erfolgt ist, oder ein zehnjähriger Zeitraum verstrichen ist. Die Ent-
lassungsurkunde muß unbedingt ertheilt werden, wenn es sich um eine bloße Ueber-
wanderung handelt, während die wirkliche Auswanderung mit Rücksicht auf die Militär-
pflicht dahin beschränkt ist, daß in gewissen Fällen die Zustimmung der kompetenten
Militärautoritäten zur Entlassung erforderlich ist, welche Beschränkung sich jedoch auf
die noch nicht zum Dienst einberufenen Reservisten und Landwehrmänner nicht be-
zieht. Die zehnjährige Frist wird von dem Zeitpunkte des Austritts aus dem
v. Holtzendorff, Enc. II. Rechtslexikon III. 3. Aufl. 27