Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

424 Religionsgesellschaften. 
kannte Religionsparteien: 1) die Katholiken, 2) die Augustanae Confessioni Addicti, 
worunter sowol die Lutheraner als die Reformirten verstanden wurden. Die Parität 
dieser beiden großen Religionsparteien galt aber nur für das Reich und dessen In- 
stitutionen (z. B. das Reichskammergericht); die Territorien blieben nach wie vor 
konfessionell abgeschlossen auf der Grundlage der Staatsreligion, deren Bekenner allein 
vollberechtigte Staatsbürger waren; doch mußte den Bekennern der anderen Kon- 
fession wenigstens Duldung und einfache Hausandacht gewährt werden, und aus- 
nahmsweise gab es auch organisirte Gemeinden der anderen Konfession mit „friedens- 
mäßiger“ Berechtigung. Für andere R. war vorerst im Reiche kein Raum; als 
zwingendes Reichsrecht hatte der Westfälische Friede den Grundsatz firirt: nulla alia 
religio vel secta praeter religiones supra nominatas toleretur. Dieser Grundsatz 
galt formell bis zur Auflösung des Deutschen Reiches. 
Thatsächlich aber war derselbe zu diesem Zeitpunkte bereits längst durchbrochen, 
und zwar durch die Initiative Preußens. Seit Mitte des 18. Jahrh. waren es 
zwei religionspolitische Grundsätze, welche jenen Staat leiteten: 1) volle Parität 
zwischen Protestanten und Katholiken im Staate, ein Grundsatz, der 
im Ordensland Preußen, sowie in Jülich -Kleve-Mark bereits seit Anfang des 
17. Jahrh. zur Durchführung gelangt, und dessen prinzipielle Annahme seit dem 
Erwerb des zur Hälfte katholischen Schlesiens zur politischen Nothwendigkeit ge- 
worden war und welchem das Reichsrecht auch nicht im Wege stand. 2) Duldunig 
auch anderer R., ein Grundsatz, den zwar das Reichsrecht verbot, den man aber 
in Preußen ohne Rücksicht auf das Reichsrecht adoptirte und formell damit recht- 
fertigte, daß ein Theil des Preußischen Staates nicht zum Reich gehörte. 
Demgemäß unterschied das Allg. LR. zwischen den „hffentlich ausgenommenen 
Kirchengesellschaften“ und den „geduldeten Kirchengesellschaften“. Unter ersteren 
wurden die christlichen Kirchen verstanden, zu letzteren gehörten die Juden, Menno- 
niten, Herrenhuter und Böhmischen Brüder. Außerdem wurde generell zugelassen, 
daß „mehrere Einwohner des Staates unter dessen Genehmigung sich zu Religions= 
übungen verbinden können“; die erforderliche Genehmigung durfte aber erst nach 
erfolgter Prüfung der Statuten ertheilt werden. Diese Bestimmungen des LR. 
repräsentiren die älteste Deutsche Gesetzgebung über die Bildung von R. außerhalb 
der anerkannten Kirchen. 
Die territorialen Veränderungen in Folge der Napoleonischen Kriege nöthigten 
dann auch in anderen Deutschen Staaten zur Aufgabe der älteren religionsrechtlichen 
Prinzipien, speziell zur Durchführung voller Parität zwischen Katholiken und Pro- 
testanten. Schon im Reichsdeputationshauptschluß von 1803 und weiterhin in der 
Rheinbundsacte fand dies auch rechtliche Anerkennung. Die Deutsche Bundesacte 
garantirte dann weiterhin in Art. XVI. den Angehörigen der verschiedenen christ- 
lichen Religionsparteien Gleichheit der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte; 
das jetzige RGes. vom 3. Juli 1869 schließt diese Entwickelung ab, indem es jene 
Rechte völlig unabhängig von irgend welchem Religionsbekenntniß er- 
klärt. Das Reichsrecht hat damit allerdings nur sanktionirt, was in den meisten 
einzelstaatlichen Verfassungen bereits vorlängst garantirt war (z. B. Bayer. Verf Urk. 
von 1818 Tit. IV. 9). 
Die Bildung von „R.“ ist nach der neueren Entwickelung in den meisten Deut- 
schen Einzelstaaten frei gegeben worden, wenn auch den sog. „anerkannten“ oder 
„Landes= Kirchen besondere Vorzüge bis jetzt überall in Deutschland verblieben und 
der Zusammenhang der staatlichen Rechtsordnung mit diesen Kirchen aufrecht er- 
halten wurde. Die Unterscheidung zwischen öffentlichrechtlichen und privatrechtlichen 
Korporationen, durch welche man die Verschiedenheit des Rechtsverhältnisses der 
Landeskirchen und der übrigen R. im Staate juristisch zu präzisiren versuchte, ent- 
behrt jedoch in dieser allgemeinen Fassung der erforderlichen juristischen Bestimmtheit. 
„Oeffentliche Korporation“ ist an sich kein Rechtsbegriff; wol aber kann das positive
	        
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