426 Religionsverbrechen.
Kirchendiebstahl, Entwendungen an Grabstätten oder an Leichen werden als Dieb-
stähle, nicht als Sakrileg behandelt. Selbstmord ist nicht mehr bürgerlich strafbar
und andere alte Verbrechen, welche in dem früheren Strafrechte noch eine aus-
geprägte kirchliche oder religiöse Beziehung hatten, sind unter einen neuen Gesichts-
punkt gestellt. Die Unmöglichkeit der Entscheidung, welche Religion den echten
Glaubensring besitze, legt dem Staate wie dem Einzelnen die Pflicht auf, jedes mit
dem Bestande eines sittlichen und rechtlichen Gemeinlebens verträgliche Glaubens=
bekenntniß als Ausfluß des Rechts der eigenen Ueberzeugung gesetzlich anzuerkennen,
nicht weil jedes Glaubensbekenntniß gleich wahr ist, vielmehr, weil jedes ein Be-
kenntniß gleichberechtigter Menschen und Staatsbürger ist. Der Staat, der alle
Glaubensbekenntnisse seiner Glieder schützt, bricht die Fesseln hochmüthiger Sekten
und garantirt die Gottesverehrung in jeder zulässigen Form. Darauf kommt es vom
staatlichen Standpunkte aus vor Allem an. Die Religion wird zu einem Reichsgute
erhoben, insofern sie bestimmten Reichsanstalten zur Grundlage dient. Das Gottes-
bewußtsein muß geschützt sein; unabhängig von jedem konfessionellen Gepräge ist es ein
Element in dem Kulturinhalte des Rechts und hat eine tiefe Bedeutung für die soziale
Reform. Die Gotteslästerung erscheint hiernach als ein Angriff auf die allgemeine religiöse
Grundlage aller im Staate bestehenden Religionsgesellschaften und kann strafrechtlich so
wenig unberücksichtigt bleiben, wie ein absichtlicher Angriff auf die allgemeinen sitt-
lichen Grundlagen des Staates. Eine Parteilichkeit des Staates gegen die nicht zu
religiösen Korporationen gehörenden Religionsverwandten liegt darin, daß nur die
gesetzlich anerkannten, mit Korporationsrechten ausgestatteten Religionsgesellschaften
besonderen Strafschutz genießen. Nicht auf die Korporationsrechte, nicht auf den
Gegenstand der religiösen Ueberzeugung und Verehrung kann es bei gerechter An-
wendung der Bekenntnißfreiheit ankommen. Auch Oesterreich hat in dem inter-
konfessionellen Gesetze vom 25. Mai 1868 die alte Strafbestimmung über die ver-
suchte Verleitung zum Abfall vom Christenthume, sowie über die versuchte Aus-
streuung einer der christlichen Religion widerstrebenden Irrlehre aufgehoben, was
übrigens für kurze Zeit schon durch das Patent vom 17. Jan. 1850 geschehen war.
Unter christlichen Kirchen sind die katholische in den Formen des römischen,
armenischen, griechischen Ritus, die evangelische in den Formen der lutherischen,
unirten und reformirten Konfession, die griechisch-nichtunirte Kirche zu verstehen.
Ein Angriff gegen die christliche Religion oder Kirche trifft jede der verschiedenen.
christlichen Kirchen und Sekten, z. B. ein Angriff auf das Christenthum der Uni-
tarier. Die Morphologie der R. nach dem jeweiligen Stande der Rechtskultur
schildern Jarcke, Handb., II. 3—107; Abegg, Beilageheft zum Archiv d. Krim.R.,
1852; Wahlberg in der Allg. Deutschen Strafrechtszeitung, 1861, S. 273, 289
und in den gesammelten kleinen Schriften Bd. I. S. 102—121; v. Maasburg,
Zur Entstehungsgeschichte der Theresianischen Halsgerichtsordnung, mit besonderer
Rücksicht auf das im Art. 58 derselben behandelte crimen magiae vel sortilegji,
1880; Hugo Meyer, Lehrb. (2. Aufl.) § 180; Villnow, Gerichtssaal,
Bd. 31.
1) Die Gotteslästerung und Herabwürdigung der Gegenstände
religiöser Verehrung. Schwerster Fall der öffentlichen Religionsverachtung ist die
Lästerung Gottes durch Reden, Handlungen, in Druckwerken oder verbreiteten Schriften.
Das Merkmal der Oeffentlichkeit palam et publice ist wesentlich, nach Gem. Deutschen
Recht auch ein gegebenes öffentliches Aergerniß. Objekt des Verbrechens ist der all-
gemeine Gottesbegriff, kein kirchlich bestimmter, nicht blos der dreieinige Gott der
Christen, oder eine der göttlichen Personen, daher ist eine Beschimpfung Jesu Christi
nicht als Gotteslästerung, sondern als Beschimpfung der christlichen Lehre
zu beurtheilen. Das Gegentheil wurde wiederholt in der Spruchpraxis zu Berlin und
Wien angenommen (Erk. d. Reichsger. vom 13. Dez. 1879, Rechtspr. I. 144). Die Absicht
muß darauf# gerichtet sein, die dem göttlichen Wesen schuldige Ehrfurcht durch Schmähung,