Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

430 Remission des Pachtzinses. 
Diese unrichtige Ansicht wird auch heutzutage noch vertreten (Sell, a. a. O., 
S. 201 ff.; v. Vangerow, § 641, A. 1) und ist auch in neuere Gesetzbücher über- 
gegangen. (Ueber 1. 15 pr. 88 1, 2 D. 19, 2 vgl. Jacobi, a. a. O., S. 16 ff.; 
Sintenis, II. S. 662, A. 74; Förster, Preußisches Privatrecht, II. S. 226 
und bes. A. 329.) 
Voraussetzungen der R. 1) Die Gewinnung (Perzeption) der Früchte muß 
vereitelt sein. Diese Beschränkung erklärt sich nicht daraus, daß mit der Perzeption 
Eigenthum und Gefahr auf den Pächter übergeht (v. Vangerow, d.—a. O.), sondern 
weil die Römer den durch Billigkeit gewährten Vortheil auf das Engste begrenzen. 
Gemeinrechtlich hielt man aber die Perzeption erst dann für geschehen, wenn die 
Früchte eingescheuert bzw. auf den Boden gebracht waren (Glück, S. 458 ff.), ja 
die Praxis (Hymmen, Beiträge, VI. 90) ging sogar dahin, daß sie selbst R. bei 
Unglücksfällen vor der neuen Ernte und bei nicht gehöriger Versilberung annahm 
(Jacobi, a. a. O., S. 26 ff.; Glück, S. 459). 2) Der Schaden muß ein be- 
trächtlicher sein (I. 25 8 6 D. 19, 2), wobei vielfach unzulässiger Weise die 
Grundsätze von der laesio enormis angewandt wurden (s. d. Art. Laesio enor- 
mis, vgl. Glück, S. 465 ff.; Jacobi, S. 40 ff.), während nach richtiger Mei- 
nung das Ermessen des Richters im konkreten Falle zu entscheiden hat. Erstreckt 
sich die Pacht auf mehrere Fruchtperioden, so sollen die Erträge der besseren Jahre 
mit denen der schlechteren aufgerechnet werden (I. 15 § 4 D. 19, 2; 1. 8 C. 4, 
65; C. 3, X. III, 18), so daß, wenn das Mißjahr vorhergeht, der bereits gewährte 
Erlaß kondizirt werden kann. (Ueber weitere Streitfragen vgl. Jacobi, S. 52 ff.) 
Die Höhe des Erlasses bestimmt sich aus dem Verhältniß der durch Sachverständige 
zu ermittelnden gewöhnlichen Ernte und der wirklich gemachten (v. Florencourt, 
Abhandlung aus der juristischen und politischen Rechenkunst, S. 250 ff.; Jacobi, 
S. 43 ff.). 3) Aeußere und außergewöhnliche Unglücksfälle müssen den Schaden 
veranlaßt haben, welchen der Pächter abzuwenden nicht im Stande war (I. 15 
§ 2; I1. 25 § 6 D. 19, 2). Hierzu werden nicht blos ungewöhnliche Naturereig- 
nisse (Seuffert, Archiv XII. S. 150; Glück, S. 355), sondern auch räuberische 
Ueberfälle und Beschädigungen im Kriege gerechnet. 4) Gemeinrechtlich wird auch 
noch eine sofortige Anzeige von dem Unglück an den Verpächter verlangt (Jacobi, 
S. 38, 91. 
Die R. kann sowol im Wege der Klage als der Einrede (Kompensation) gel- 
tend gemacht werden, die vorbehaltlose Bezahlung des Zinses gilt aber als still- 
schweigender Verzicht auf R. Auch ausdrücklich kann auf die R. verzichtet werden 
(I. 8 C. 4, 65); eine solche Entsagung unterliegt den allgemeinen Auslegungsregeln 
und ist im Zweifel nur auf die Unglücksfälle, von welchen die Frucht, nicht auch 
Grund und Boden betroffen wird, zu beziehen. Wegen der in der colonia partiaria 
liegenden Gesellschaft erledigt sich der Erlaßanspruch hier von selbst (1. 25 § 6 
D. 19, 2). 
Bei emphyteutischen Grundstücken findet eine R. des Kanon (trotz 1. 15 § 4 
D. 19, 2) nicht statt, weil dieser nur eine Anerkennungsgebühr für das bestehende 
Obereigenthum, nicht ein Entgelt für die Fruchtziehung ist. Doch haben Partiku- 
largesetze bei Erbzinsgütern eine R. zugelassen, um die Bauerngüter im leistungs- 
fähigen Zustande zu erhalten (vgl. Beseler, Deutsches Priv. R., S. 762 Not. 20). 
Von den neueren Partikulargesetzen steht der Cod. Max. Bav. ganz auf den 
als richtig anerkannten Grundsätzen des Röm. Rechts, indem er einen Schaden ver- 
langt, welcher „nicht aus innerlichem Mangel des Bestandgutes selbst, sondern von 
äußerlich-unversehen= und ungewöhnlichen Zufällen“ herrührt. Das Oesterr. BG. 
enthält als besondere Abweichung vom Gem. Recht die Anwendung der laesio 
enormis auf den Pachtvertrag und beschränkt die Unglücksfälle richtig auf die Zeit 
bis. zur Separation; auch verlangt es Anzeige und Konstatirung der schadenden Be- 
gebenheit. Das Preußische Allg. LR. spiegelt in der Fülle seiner Vorschriften über
	        
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