Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

Repressalien. 441 
andere Art, speziell als marcha bezeichnet, gestattete, aller dem anderen Theile 
gehörender Gegenstände auf offener See sich zu bemächtigen. Die lettres de contre- 
marque waren gegen diejenigen gerichtet, welche die lettres de marque ertheilt 
hatten. Zur Ertheilung dieser Briefe waren ermächtigt in Frankreich die Gouver= 
neure, höhere Gerichte und Parlamente (Massé, Dr. comm., I. 136 ss.), seit der 
Verordnung von 1485 nur der König, in den Lombardischen Städten die Obrigkeit 
und Gemeinde (Burchardi, 501), in Belgien einzelne mit dem Kriegsrecht begabte 
Städte (Bynkershoek, lI. c.); für England bezeichnete schon die Parlamentsacte 
von 1353 die königl. Verleihung als die ausschließlich übliche, wogegen sie in den 
Niederlanden erst am Anfange des 15. Jahrhunderts gefordert wurde. Die Engl. 
Parlamentsacte von 1416 gewährte die Ausreichung der R. briefe nur nach gefor- 
derter und verweigerter Genugthuung. Vertragsmäßig wurden die R. beschränkt auf 
den Fall der Justizverweigerung (Franz.-Span. Vertrag von 1489 und Spanisch- 
Schott. Vertrag von 1550) und von auslaufenden Schiffen für das Nichtüben von 
R. Sicherheitsstellung verlangt (Franz.-Engl. Vertrag von 1440 und 1468, Engl.= 
Span. Vertrag von 1489). Endlich wurde in einer großen Zahl von Verträgen 
(s. Martens, l. c. S. 30) vereinbart, daß, außer im Falle der Justizverweigerung, 
die Güter der gegenseitigen Unterthanen nicht in dem Staate des anderen Theiles 
für die Schulden ihrer Landsleute mit Beschlag belegt werden dürften. Gesetzliche 
Regelung ward dem Institut der R. durch die den bezüglichen Inhalt des guidon 
de la mer fast wörtlich wiedergebende ordonnance de la marine von 1681 und die 
Statuten der Lombardischen Städte (s. über die Lombardischen Statuten und die 
Gesch, der R. überhaupt Burchardi, 500 ff.). — Die R. sind noch in der Ge- 
genwart ein völkerrechtlich begründetes Institut. Mas Latrie drückt sich daher zu 
allgemein aus, wenn er S. 46 ausführt, daß die R. gefallen, nur die von ihm ge- 
schilderte frühere Art derselben ist gefallen. Die Nothwendigkeit ihrer Fortdauer 
motivirt schon Bynkershoek: „Repressaliarum usum in totum tollere, eorum, 
qui non uni Principi subsunt, improbitas non patitur“. Indeß sprach sich das 
Röm. Recht wiederholt entschieden gegen die R. aus, weil die Einzelnen nicht schul- 
den, was eine universitas schulde (I. 7 § 1 D. 3, 4), weil man nicht Andere 
wegen fremder Angelegenheiten belästigen (1I. un. C. 11, 56) oder die Besitzung eines 
Anderen wegen fremder, öffentlicher oder Privatschulden in Anspruch nehmen dürfe 
(I. 4 C. 12, 61), insbesondere aber nicht Gläubiger die Kinder ihrer Schuldner 
zurückhalten dürfen (nov. 134 cap. VII); auch wurden gegen die illiberales pigno- 
rationes und die durch sie geursachten exactiones exosae, welche der Gesetzgebung 
schon vielfach Aergerniß gegeben, mannigfache Strafen verhängt, weil es für wider- 
sinnig erachtet wurde, daß ein Anderer der Schuldner und ein Anderer der Bezahler 
sei oder daß Jemand anstatt eines Anderen, der eine widerrechtliche Handlung verübt, 
blos weil er mit diesem einen und denselben Ort bewohnt, beschwert, bestraft werde 
und ein Uebel unschuldig erleide (Nov. LII pr. und cap. I.). Auch das Kanon. 
Recht sprach sich (1. c.) gegen die pignorationes (vulgo: repressaliae), insbesondere 
an Geistlichen, aus und bedrohte die Zuwiderhandelnden mit kirchlichen Strafen. 
Gegenüber diesen wohl begründeten Perhorreszirungen seitens der Gesetzgebung hat 
die völkerrechtliche Doktrin die R. zu entschuldigen gesucht. Groot (III. II. 88 II. 
und V.) leitet sie aus dem ius gent. voluntar. ab und stellt den Satz als der Natur 
nicht widerstreitend auf, daß alle Güter eines Staates für seine Leistungen und 
Verpflichtungen, insbesondere auch zu Gunsten einer, einem fremden Anspruch nicht 
gewährten, rechtlichen Genugthuung, haften. Dieser Satz sei durch Sitte und still- 
schweigenden Konsens eingeführt, sowie ja auch fideiussores sine ulla causa ex solo 
consensu verpflichtet würden. Wolle man solche R. nicht einräumen, so würden 
häufig Rechtswidrigkeiten unvergolten bleiben und den Fremden nicht leicht Gerech- 
tigkeit zu Theil werden. Die Pignorationen lösten gewissermaßen als Auflagen 
öffentliche Verpflichtungen ab. Vattel (II. XVIII. § 344) rechnet das Privat-
	        
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