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zeichneten den Inhalt des Schlußvortrages genauer vor und fügten theilweise das
Verbot bei, daß der Vorsitzende seine eigene Ansicht zu erkennen gebe. In aller-
neuester Zeit (1880) ist auch in Frankreich von der Regierung ein das R. ab-
schaffender Gesetzentwurf eingebracht worden. Nach dem durch das Gesetz vom 8. Juni
1879 in diesem Punkte nicht modifizirten Art. 498 der Italienischen StrafP .
lautet die dem Vorsitzenden ertheilte Vorschrift: „Er faßt das Ergebniß der Ver-
handlung kurz zusammen (riassume brevemente la discussione), erklärt die Fragen,
macht die Geschworenen auf die wichtigsten für und gegen den Angeklagten vorge-
brachten Gründe aufmerksam.“ —
Die neuesten legislativen Erörterungen über das R. drehen sich hauptsächlich
um folgende Fragen:
1) Kann auf den Schlußvortrag des Vorsitzenden ganz verzichtet werden? Diese
Frage kann man meines Erachtens nur stellen, wenn man noch der Ansicht ist, daß
die Geschworenen im Wahrspruch über „nackte“ Thatsachen sich auszusprechen haben,
nicht aber, wenn man einmal anerkennt, daß der Gerichtshof durch die Fassung,
die Jury durch die Beantwortung der Fragen die Unterordnung der Thatsachen
des Falles unter die gesetzlichen Begriffsmerkmale gemeinsam vollziehen und daß
darüber Gewißheit bestehen muß, daß den Geschworenen das für sie, wie für alle
bindende Gesetz und zugleich der Sinn der an sie gerichteten Fragen klar geworden
sei. Zur Darlegung des letzteren kann nur der Gerichtshof, dessen Organ der Vor-
sitzende ist, berufen sein, da Kenntniß des Gesetzes nur ganz zufällig bei einem oder
dem anderen der Geschworenen vorhanden sein kann und ihnen noch weniger als
diese die Fähigkeit zugemuthet werden kann, über die einander widersprechenden
Rechtsbehauptungen des Staatsanwaltes und des Vertheidigers, die beide einseitig
und unvollständig sein können, sich selbständig und ohne Anleitung ein Urtheil zu
bilden. Hält man diese Anleitung dann für entbehrlich, so muß man es auch für
zulässig halten, daß das geltende Recht von der Meinung der jeweiligen Geschworenen
und nicht durch das Gesetz festgestellt werde. Es ist daher nothwendig, daß der
Vorsitzende verpflichtet werde, den Geschworenen die nach Lage des Falles nothwendige
Rechtsbelehrung zu ertheilen. Umfang und Modalitäten der Erfüllung dieser
Pflicht lassen sich nicht streng vorschreiben; ob im gegebenen Falle eine Belehrung
nothwendig ist, welche Fragen sie zu umfassen hat, muß der Vorsitzende nach pflicht-
mäßiger Erwägung der Erfordernisse des Falles beurtheilen; ebenso würde er zu be-
urtheilen haben, wie weit er sich auf das Gebiet der gemischten Fragen hinaus-
begeben solle, jener Fragen, bei welchen es sich nicht um die Anwendung klar vor-
zuzeichnender Grundsätze, sondern um die Beurtheilung und Abwägung der That-
sache von einem bestimmten, juristischen Gesichtspunkte aus handelt. Er wird in
der Regel sich auf die Bezeichnung des letzteren beschränken und den Geschworenen
das Weitere anheimstellen. Ist dies geschehen, so bringt es die Natur des Ver-
hältnisses zwischen Gerichts= und Geschworenenbank mit sich, daß die letztere bei der
Beurtheilung der von ihr als erwiesen angenommenen Thatfachen, das Gesetz, so
wie es ihr vom Vorsitzenden dargelegt ist, zur Anwendung bringe. Kein Gesetz
kann sie dazu zwingen, und es sollte auch jeder Versuch eines Zwanges unterlassen
werden; es ist gewiß genug, daß nöthigenfalls den Geschworenen mit den Worten
Story's gesagt werde: „Die Geschworenen haben die physische Macht, das Gesetz, wie
es ihnen das Gericht darlegt, außer Acht zu lassen; allein ich stelle entschieden in
Abrede, daß sie das moralische Recht haben, über das Recht nach ihren persfönlichen
Ansichten und nach ihrer Willkür zu entscheiden." Und selbst wenn unter den
Geschworenen ein Jurist ist, so kann er sich dabei beruhigen, daß nur die Antwort
verstanden werden kann, welche in dem gleichen Sinne ertheilt wird, in dem die
Frage gestellt wird; ein solcher Mann wird übrigens auch auf eine Fassung der
Frage hinwirken können, welche ihm ermöglicht, einen Ausspruch zu thun, der seiner
Rechtsüberzeugung entspricht und ihn doch nicht der Gefahr aussetzt, daß seine Ant-