Retorsion. 461
obligation, geschützt werde, das R. schütze ein faktisches Verhältniß, in welchem der
Beklagte das, was er in und mit der Sache von dem Seinigen detinire, ungeachtet
es nach Civilrecht bereits für ihn verloren sei, behalten solle. Das Recht auf den
Vermögenswerth gegenüber dem Kläger, der denselben erstatten soll, bleibt aber
immer eine Obligation. Der Zweifel Großkopff's ist auf eine unrichtige Begriffs-
bestimmung von Naturalobligation zurückzuführen, die nach ihm nothwendig außer
durch soluti retentio auch anderweit, z. B. durch Kompensation, sich wirksam
zeigen müßte.
Von den Streitfragen in Betreff des gemeinrechtlichen R. war die wichtigste die,
ob dasselbe auch gegenüber der Gläubigerschaft im Konkurse geltend gemacht werden
kann. Die Frage muß mit Großkopff und Sintenis gegen Schenk, v. Bayer
bejaht werden.
Von den neueren Kodifikationen stellt das Sächs. B. auch die erceptio
en. ad. contr. unter den Begriff des Zurückbehaltungsrechts, sich überhaupt an die
ältere Lehre anschließend. Es definirt dasselbe als das Recht des nicht durch uner-
laubte Handlungen in den Besitz einer jetzt herauszugebenden Sache Gelangten,
dieselbe bis zur Befriedigung wegen eines fälligen Gegenanspruchs zurückzubehalten,
der in einem Verhältniß zu derselben Sache seinen Grund hat, und als das Recht
des aus einem zweiseitigen Rechtsgeschäft zu irgend einer Leistung Verpflichteten,
diese bis zum Empfang der fälligen Gegenleistung zu verweigern. Nach Preuß. R.
besteht das R. in der Befugniß des Inhabers einer fremden Sache, selbige so lange
in seiner Gewahrsam zu behalten, bis er wegen seiner Gegenforderungen befriedigt
worden. Das Recht ist nur gegen den Schuldner der „Gegenforderung“, regelmäßig nicht
auch gegen dessen Konkursmasse geltend zu machen. Das Oesterr. BGB. verwirft das
R. überhaupt; der Code civil giebt keine Definition, den Anwendungsfällen liegt aber
der Begriff des Preuß. R. zu Grunde. — Das Allgem. Deutsche H#GB. giebt den Kauf-
leuten wegen fälliger, — im Falle der Unsicherheit und des Konkurses auch wegen
nicht fälliger — Ansprüche aus dem kaufmännischen Verkehr ein R. an allen be-
weglichen Sachen und Werthpapieren, die mit dem Willen des Schuldners auf Grund
von Handelsgeschäften in ihren Besitz gekommen sind. Dies R. hat die Natur eines
Faustpfandes. Die Deutsche K O. bestimmt in § 41, inwieweit das Zurückbehaltungsrecht
abgesonderte Befriedigung im Konkurse begründet.
Lit. u. Gsgb.: Schenk, Die Lehre vom R., 1837. — Luden, Das R., 1839. — Lenz
in Weiske's Aochtsler. IX. 377. — Großkopff, Zur Lehre vom R., 1858. — Sintenis,
Civilrecht, 5 91 D. — Die Römischen Gesetze handeln vom R. an zerstreuten Stellen. — Sächsf.
BGB. §§ 767—769. — Preuß. Allg. LR. I. 20 §§ 536—567. — Oesterr. BGB. § 471. —
Code civil art. 867, 1673, 1749, 1885, 1948. — Allg. Deutsches HGB. Art. sis ff.
ccius.
Retorsion (Franz. und Engl. gleichlautend), von retorquere, bedeutet im
Staatenverkehr: die eine Unbilligkeit mit einer gleichen oder ähnlichen erwiedernde
Handlungsweise. Die Anwendung gleicher Mittel gegen einen Staat, welcher er
sich gegen den unserigen bedient (Massé, Droit commerc., I. 130), oder die Ver-
geltung des „Einem nicht anständigen“ mit Gleichem (Moser, Verg., VIII. 485),
charakterisirt noch nicht das besondere Wesen der R. In einem weiteren Sinne
begreift man die R. unter die Repressalien (Berner, 597; Burchardi, 497), in
der Praxis wurden sie mit einander identifizirt oder verwechselt (Moser, Verf.,
Th. IX. Bd. II. 519 und 527; Wurm, 458). Masse (l. c.) läßt sogar
Repressalien auf dem Wege der R. vor sich gehen. — Die völkerrechtliche Be-
rechtigung der R. wird aus der Selbständigkeit, Rechtsgleichheit oder Gleich-
berechtigung der Staaten gefolgert (Wolff, § 584; Klüber, § 234; Heffter,
§ 27; Oppenheim, 152), halbsouveränen Staaten (Martens, V.R., § 249)
kann sie daher nicht zustehen. Die Bezeichnung: retorsio juris (Wolff, § 583),
retorsion en droit (Vattel, II., XVIII. § 341) und die Unterscheidung von: