462 Retorsion.
retorsio facti und iuris vel legis (Klüber, § 234), wenn namentlich, nach der
technischen Ausdrucksweise, die letztere der R. im engeren Sinne, die erstere den
Repressalien entsprechen soll (Wurm, I. c.), ist überflüssig und verwirrend, weil
dann die Repressalien wieder der R. subordinirt werden und weil die R. nicht gegen
eine Rechtswidrigkeit, sondern eine Unbilligkeit gerichtet ist, und auch nur diese
enthält (Heffter, § 111; Berner, I. c.; Burchardi, 498). Moser
(Vers., VIII. 485) sieht die Veranlassung zur R. nicht in einem Zuwiderhandeln
gegen die Gerechtigkeit oder natürliche Billigkeit, sondern gegen die Freundschaft oder
die Gleichheit der Gerechtsame. Dem in der Rechtssprache vielfach durchbildeten
Terminus der Unbilligkeit substituirt Wurm (459 ff.) den vieldeutigen Ausdruck
(Ungunst gegen) Interessen, während Englische Schriftsteller (Phillimore, III. 8,
I. 13; Twiß, II. 18) R. statuiren gegen Abweichungen von der comity, deren
Begriff sich indeß nicht mit dem der Billigkeit deckt (vgl. d. Art. Comitas
gentium) und außerdem sich nur einer partiellen, hauptsächlich Anglo-Amerikanischen
Anwendung erfreut. Twiß (l. c.) nennt die oben angegriffene Unterscheidung der
R. eine unpraktische, gleiches Prädikat gebührt aber der seinigen (II. 19): passive
Retaliation (R.) und aktive (lex talionis), indem er selbst die letztere für unan-
wendbar im internationalen Rechtsverfahren erklärt, und außerdem jede R. eine
Aktion enthält. Die Zurückführung des Unterschiedes von Repressalien und R. auf
den Unterschied vollkommener und unvollkommener Rechte (Martens, l. C.;
Klüber, § 284 not. d) ist mit diesem letzteren für antiquirt zu erachten, außerdem
zwingt selbst die R., wenn auch in milderer Form, zur Gewährung. R. im
Kriege (Moser, IX., 1II. 519) widersprechen aber der Aufgabe der R., den Krieg
zu verhindern, und unterliegen nicht dem R.recht, sondern dem Kriegsrecht. — Die
zu retorquirende Unbilligkeit kann entstehen aus der Gesetzgebung, dem Gewohn-
heitsrecht und den Reglements (Vattel, I. c.; Twiß, II. 18), bloße Verschiedenheit
derselben genügt aber nicht (Martens, § 250; Klüber, 8§ 54 und 234 d;
Heffter, lec.; Wurm, 474); entweder muß der Fremde (unser Staatsangehöriger)
nur hinter den Einheimischen (des fremden Staates) zurückgestellt sein (Martens, l.c.
Klüber, 1. c.; Berner, 598) oder auch hinter andere Fremde (die An-
gehörigen anderer Staaten — Wurm, 468 ff.; Heffter, 1. c.; Burchardi, 498;
Twiß, II. 19). Der Billigkeit entspricht es indeß schon, daß Fremde den Ein-
heimischen gleichgestellt werden. Die Bevorzugung der Fremden vor den Ein-
heimischen zu verlangen, gebietet die Billigkeit ebensowenig (Klüber, § 58), eine
solche Forderung nannte der Neapolitanische Gesandte (in der berüchtigten Schwefel-
frage zwischen Großbritannien und Neapel im Jahre 1838) ein großes Paradoxon
der Politik, wogegen Wurm (473 ff.) mit Unrecht im Falle der Nichtgewährung
einer solchen ausnahmsweisen Bevorzugung, nach fehlgeschlagenen Unterhandlungen,
eine R. für gerechtfertigt hält. Einem halbbarbarischen Staat gegenüber erscheint
freilich ein solcher Wunsch für zulässiger, indeß dürfte auch hier, wie schon
Berner (Il. c.) richtig ausführt, unterhandelt und nicht die zu retorquirende und
perhorreszirte barbarische Maßregel in gleicher oder ähnlicher Weise erwiedert werden. —
Als eine zu retorquirende Unbilligkeit wird angesehen entweder ganz allgemein die
nichtbefriedigende Behandlung der Unterthanen in einem anderen Staate oder eine un-
günstige Stellung derselben nach Gesetz und Gewohnheit (Vattel, l. c.; Twiß, II. 18;
Wurm, 464), oder die Verweigerung eines Gewohnheitsrechts und ein unbilliger
Unterschied zwischen Fremden und Einheimischen (Martens, lI. c.), oder eine un-
gleiche beschwerende Behandlung, eine unbillige und beschwerende Ungleichheit des
positiven Rechts, eine Verweigerung unparteiischer und unverzögerter Rechtspflege
(Klüber, §§ 54, 234 d, 58), oder die Ausschließung von eigenen Unterthanen
gewährten Vortheilen, Zurückstellung gegen diese oder andere Nationen, ungewöhnliche
Belastung bei Einräumung von Vortheilen, Abweichung von durch andere Nationen
aufgestellten Grundsätzen, verbunden mit materiellen Nachtheilen (Heffter, l. c.).