Sachverständige. 519
er vom S. auch die Darlegung der allgemeinen Gesetze entgegennehmen und kann
daher nur die Anwendbarkeit derselben auf die konkreten Thatsachen prüfen.
Was der S. dem Gericht bietet, ist also ein zweifaches: 1) Die Darstellung
der von ihm gemachten Wahrnehmungen (mit Einschluß der zu diesem Zwecke an-
gestellten Untersuchungen und Versuche), der Befund, Sachbefund, Sichtbefund,
visum repertum, rapport; 2) die Darlegung und Begründung der von ihm aus
diesen Wahrnehmungen gezogenen, für den Straffall erheblichen Folgerungen, das
Gutachten, Kunsturtheil (parere, avis). Nun sind aber diese beiden Auf-
gaben in sich sehr verschieden und lassen eine sehr verschiedene prozessualische Ge-
staltung zu: Der Befund gestattet in der Regel keinen Aufschub, ist auch oft von
örtlichen Verhältnissen abhängig, so daß die Auswahl der S., welche ihn aufnehmen
sollen, oft eine sehr beengte ist. Dagegen gestattet er sofortige Fixrirung des Wahr-
genommenen durch Niederschrift, Zeichnung oder sonstige Nachbildung und ist diese
ungesäumte Fixirung so wesentlich, daß ihre Unterlassung durch ganz besondere Ver-
hältnisse gerechtfertigt werden müßte, um ohne solche einen Befund noch entgegen-
nehmen zu dürfen. Dazu kommt auch noch, daß der Vorgang der S. bei Auf-
nahme des Befundes unter gerichtlicher Leitung und Beurkundung steht, obgleich
diese nicht immer eine konstante sein kann (Deutsche StrafP O. § 78; Oesterr.
§ 122). Alles dies bewirkt, daß der Befund von der allgemeinen Regel bezüglich
des Vorzuges der Mündlichkeit eine Ausnahme macht, daß nämlich hier die Nieder-
schrift werthvoller ist, als der spätere mündliche Bericht, und eben darum, wenn
jene bedenklich geworden ist, eine Erneuerung des Befundes mehr Aufklärung ver-
spricht, als eine erneute Vernehmung der S. über denselben. — Dagegen stützt sich
das Gutachten auf den Befund; es kann aber in anderweitigen Materialien des
Strafprozesses noch weitere Grundlagen finden, eben darum durch die späteren Ergeb-
nisse des Prozesses modifizirt und als endgültig erst nach völliger Aufklärung des
Sachverhaltes, also am Schluß des Verfahrens, angesehen werden. Das Gutachten
ist aber auch unabhängig von der Person, welche den Befund beurkundet hat, und
meistens in höherem Grade als dieser abhängig von der technischen Tüchtigkeit des-
jenigen, der es abgegeben hat. Was die äußere Form der Erstattung derselben be-
trifft, so wird hier im Allgemeinen die mündliche Darlegung durch die Natur der
Sache nicht gehindert, und sie wird sehr häufig die richtige Auffassung der Ansicht
der S. und ihrer Begründung, die Beseitigung von Zweifeln und Mißverständnissen
wesentlich fördern. Nicht immer werden übrigens im Strafprozeß Befund und
Gutachten figuriren; es kann vorkommen, daß der Befund genügt, zumal wenn es
sich um die sachkundige Fixirung von Thatsachen handelt, deren Beurtheilung keine
Fachkenntnisse fordert (Aufnahme von Plänen, Messungen u. dgl.); es kann aber
auch die Möglichkeit der Aufnahme des Befundes fehlen und dann müssen die
Grundlagen des Gutachtens durch Zeugenaussagen (natürlich, womöglich, durch
sachverständige Zeugen, d. i. Personen, welche zwar sachkundig sind, aber ihre
Wahrnehmungen zu einer Zeit und unter Umständen machten, wo sie nicht als S.
fungirten — vgl. § 85 der Deutschen Straf P O.) beschafft werden. Alle diese Ver-
hältnisse üben wesentlichen Einfluß auf die prozessualische Gestaltung.
II. Die Bestimmung der S. hängt von ganz anderen Gesichtspunkten ab,
als die der Zeugen. Schon die Vorfragen, ob S. beizuziehen seien, welcher Art sie
sein sollen und in welcher Zahl erforderlich, können in gleicher Weise bei Zeugen
nicht auftauchen. Nach § 73 der Deutschen StrafP O. erfolgt „die Auswahl der
S. und die Bestimmung ihrer Anzahl durch den Richter“. Der Satz ist aber eigent-
lich nur für die Voruntersuchung richtig. Bezüglich des Vorbereitungsverfahrens
läßt § 160 der Straf P O. die Auslegung zu, die ihm Löwe (bei diesem Paragraph
und bei § 73 N. Za) und Geyer (v. Holtzendorff's Handb., I. S. 240) geben,
daß nämlich der Staatsanwalt, der die Vornahme der „Untersuchungshandlung“
beantragt, auch die S. namhaft macht und daß der Amtsrichter sich an diesen An-