Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

528 Sanitätspolizei. 
Regel annehmen, daß keine Zwangsmaßregeln stattfinden sollen, wo auch ohne solche der 
beabsichtigte Zweck erreicht werden kann; daß es nicht statthaft ist, zur Theilnahme an 
einer Staatsanstalt zu zwingen, wenn der durch sie erstrebte Nutzen für die freiwillig 
sich Betheiligenden vollständig erreicht wird auch ohne Ausdehnung auf die sich ferne 
Haltenden, und wenn die Nichtbenützung lediglich zum eigenen Schaden zurechnungs- 
und willensfähiger Personen gereicht. Es darf ferner kein Vortheil auch sanitärer Art 
auf Kosten allgemeiner, rechtlicher oder sittlicher Grundsätze erkauft werden, und 
ebensowenig dürfen um solcher Vortheile willen unverhältnißmäßig belastende An- 
sprüche an die Finanzkraft des Staates oder der Gemeinden erhoben werden. 
Unter den Aufgaben des Gesundheitsschutzes, welche sich der Thätigkeit des 
Einzelnen und auch der Vereine gänzlich entziehen, steht voran die Abwehr aller 
vom Auslande her drohenden gemeinschädlichen Krankheitsur- 
sachen, speziell der epidemischen und kontagiösen Krankheiten. Solange gegenüber 
dieser Klasse von Gesundheitsgefahren noch keine internationale Regelung des gemein- 
samen Verhaltens zu Stande gekommen, bleibt es Pflicht für jede Staatsverwaltung, 
die eigene Bevölkerung durch Abwehrmaßregeln zu schützen, auch wenn letztere nur 
mit erheblichen Benachtheiligungen der Interessen des Nachbarstaates ausführbar 
sind. Ueberwachung des Waaren= und Personenverkehrs an den Landesgrenzen, 
eventuell Hemmung dieses Verkehrs bezüglich verdächtiger Artikel oder selbst voll- 
ständige Unterbrechung alles Personen= und Sachenverkehrs an besonders bedrohten 
Punkten in Fällen dringender Seuchengefahr sind Maßregeln, welche bei der heutigen 
Ausdehnung und Bedeutung des zwischenstaatlichen Verkehrs äußerst scharf in die 
nationalen Wohlstandsinteressen auch des eigenen Landes einschneiden, welche aber 
darum nicht minder unabweislich erscheinen, sobald es sich um Abwehr einer schweren 
Volksseuche handelt, deren Verbreitungsweise durch den persönlichen oder sachlichen 
Verkehr erwiesen ist. 
Die im Inlande entstehenden sanitären Gemeinschäden beruhen 
theils auf verderblichen stofflichen Agentien, — als da sind: schlechte Athemluft 
auf Straßen oder Plätzen oder in öffentlichen Gebäuden, Schulen u. s. w., ver- 
fälschte oder verdorbene Nahrungs= und Genußmittel, qualitativ oder quantitativ 
mangelhaftes Trink= und Nutzwasser, giftige Gebrauchsgegenstände, Kinderspielwaaren, 
Kleidungsstoffe, Tapeten, feuchter oder verunreinigter Wohnboden; — theils auf 
verkehrten Lebensgewohnheiten, welche mit öffentlichen Einrichtungen zusammenhängen, 
z. B. gesundheitsschädliche Anordnungen im Schulunterrichte oder im Militärdienste, 
— theils auf gewerblichen Arbeitseinflüssen, denen sich der einzelne Arbeiter nicht 
zu entziehen vermag, ohne seinen Lebensunterhalt aufs Spiel zu setzen, — theils 
endlich auf vorhandenen Ansteckungsstoffen, welche entweder nur an den erkrankten 
Personen selbst oder auch an deren sachlicher Umgebung haften. 
Das Nähere über die wichtigeren präventiven Einzelaufgaben der S. vergl. in den 
Artikeln über Impfwesen, Nahrungsmittel (polizeilich), Prostitution, 
Städtereinigung, Volksfeuchen u. f. w. 
3) Nicht blos auf die gesunden, vor Krankheit zu schützenden, sondern auch auf 
die Pflege und Behandlung der bereits erkrankten Bürger hat die staat- 
liche Fürsorge sich zu erstrecken, und zwar in zwei Richtungen. Erstens fällt dem 
Staate die Pflicht anheim, für die Ausbildung eines guten und genügend zahlreichen 
Heil= und Pflegepersonals zu forgen, da diese Sorge unmöglich von den einzelnen 
Bürgern übernommen werden kann. Diese Obliegenheit des Staates bleibt unbe- 
rührt von der Frage des Gewerbeprivilegs für Aerzte und für Apotheker; denn 
wenn auch dem Bürger freie Wahl belassen wird, ob er Gesundheit und Leben 
staatlich approbirten Aerzten und Apothekern oder Quacksalbern anvertrauen will, so 
muß doch der Staat dafür sorgen, daß die ersteren überall erreichbar sind und daß 
ihre Ausbildung und Ausrüstung die möglichste Gewähr bieten für die Zuverlässig- 
keit ihrer Leistungen. Das Bestehen guter medizinischer und pharmazeutischer
	        
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