Sanitätspolizei. 529
Bildungsanstalten und ausreichender Hebammen- und Krankenpflegerschulen, sowie
die Beobachtung sachgemäßer Vorschriften bei Prüfung und Approbation der Aerzte,
Apotheker, Hebammen und Krankenpfleger bildet daher einen wesentlichen Gegenstand
der sanitätspolizeilichen Fürsorge.
Zweitens aber liegt dem Staat auch die Sorge dafür ob, daß denjenigen
Kranken und Siechen, welchen die materiellen Mittel zur privaten Beschaffung und
Benutzung der nöthigen Pflege oder Behandlung fehlen, diese durch geeignete all-
gemeine Veranstaltungen gewährt werden: Anstellung öffentlicher Armen—
ärzte und Armenkrankenpfleger, Errichtung, Unterhaltung und Beaufsichtigung
guter öffentlicher Krankenhäuser, Gebäranstalten, Irrenanstalten.
Die Erreichung der verschiedenen vorgenannten Ziele setzt ein Ineinander-
greifen rechtskundiger, verwaltender und medizinisch-technischer
Kräfte voraus, deren ebenmäßiges und ständiges Zusammenwirken zu sichern keine
der leichtesten Aufgaben in der staatlichen Organisation darstellt. Bei den Geschäften
der Sanitätsbehörden handelt es sich sachlich vorherrschend um solche Fragen, welche
die Anwendung medizinischer oder doch naturwissenschaftlicher Grundsätze auf konkrete
Verhältnisse erfordern, und eine solche Anwendung kann selbstverständlich nur
technischen Sachverständigen aufgetragen werden. Andererseits haben die genannten
Behörden bei ihren Verwaltungshandlungen zugleich die Beachtung aller in Mit-
betracht kommenden Gesetze, die Beschränkung der technischen Ziele und Wünsche
durch die nothwendigen rechtlichen und wirthschaftlichen Rücksichten, sowie endlich
auch die Festhaltung der allgemeinen Geschäfts= und Verwaltungsformen zu be-
obachten, und diesen Erfordernissen vermögen erfahrungsgemäß Techniker nur in
seltenen Ausnahmsfällen zu genügen; in der Regel gehört dazu vielmehr ein Or-
ganismus von Beamten, welche mit den allgemeinen Grundsätzen des Rechts und
der Verwaltung durch Theorie und Erfahrung vertraut sind. Im Prinzip anzu-
streben ist daher überall eine solche Organisation, welche den ärztlichen Gesundheits-
beamten einen größtmöglichen berathenden Einfluß auf alle sachliche Entschei-
dungen technischer Art, sowie auch die Ausführung technischer Untersuchungen,
Aufsichts= und Berichtsarbeiten zuweist, dagegen die Verfügungen selbst und die
verwaltungsmäßige Ausführung derselben den allgemeinen Polizeiorganen beläßt.
Ausnahmen von dieser Regel werden allerdings nicht zu umgehen sein, namentlich
zur Zeit herrschender Epidemien, da alsdann eine rasche und wirksame Thätigkeit
der Sanitätsbehörden oft nur unter Bekleidung des örtlichen technischen Beamten
mit selbständigen exekutiven Befugnissen möglich ist. Die als Norm festzuhaltende
dienstliche Anlehnung des ärztlichen Gesundheitsbeamten an die allgemeinen
Polizeiorgane darf indeß nicht hindern, dem ersteren eine technisch selbständige und
selbstverantwortliche Stellung einzuräumen, und zu diesem Zwecke ist es erforderlich,
daß zwischen den sachverständigen Instanzen von Physikus oder Kreisarzt bis zur
technischen Centralstelle beim Ministerium eine direkte Beziehung bestehe. Ohne
einen solchen Rückhalt, dessen Verträglichkeit mit den allgemeinen Formen des Ver-
waltungsdienstes trotz der von v. Mohl geäußerten Bedenken das Beispiel Englands
beweist, unterliegt die Berücksichtigung und Verwerthung des örtlichen technischen Bei-
raths gänzlich der Willkür des örtlichen Verwaltungsbeamten, und es ergeben sich daraus
die Uebelstände, an denen namentlich in Preußen die örtliche Sanitätspolizei unter der
diskretionären Autorität der Landräthe gegenüber den Kreisphysikern zu leiden hat.
Die staatliche Kontrole der örtlichen S. centralisirt sich am sachgemäßesten
in der Ministerialstelle für die allgemeine Polizeiverwaltung, also dem Ministerium
bzw. Reichsamt des Innern. Hier begegnen sich die meisten und wichtigsten der-
jenigen Spezialressorts, mit welchen die Sanitätsverwaltung sich in Einklang zu
erhalten hat. In den meisten Staaten untersteht denn auch das gesammte öffent-
liche Gesundheitswesen dem Minister des Innern, welchem ein oder mehrere technische
v. Holtzendorffs, Ene. II. Rechtslexikon II. 3. Aufl. 34