Schiedseid. 545
Lit.: v. Stintzing, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft (1880), 1. 27, 184, 262,
541. — v. Soden, Beitr. zur Geschichte der Reformation, mit bes. Hinblick auf Ch. Scheurl,
Nürnb. 1855. Teichmann.
Schiedseid, zugeschobener Eid, freiwilliger Eid, juramentum litis decisorium,
serment décisoire, ist heutzutage — nachdem die Eideszuschiebung behufs außer-
gerichtlicher Erledigung von Rechtsstreitigkeiten als nicht mehr zulässig zu erachten
oder sogar ausdrücklich verboten ist (Savigny, Syst., VII. S. 85 zu N. a;
Preuß. Allg. Ger.O. I. 10 § 248), das jusjurandum in jure delatum der Römer
aber, durch welches Kläger behufs Vermeidung des judicium die Entscheidung über
den Anspruch selbst ins Gewissen des Beklagten verstellen konnte, in Deutschland
keine Aufnahme gefunden hat (Wetzell, § 27 zu N. 26) — diejenige Anwendung
des Eides (s. diesen Art.) im Civilprozeß, wodurch eine Partei die Feststellung
einer von ihr zu beweisenden Thatsache vom Eid des Gegners abhängig macht, indem
sie ihn zur eidlichen Betheuerung des Gegentheils dieser Thatsache auffordert (Eides-
antrag, -Delation). Der Delat wird dadurch verpflichtet (Bülow, S. 37:
berechtigt), den Eid anzunehmen und auszuschwören, oder an den Deferenten über
die Affirmative der zu beweisenden Thatfache zurückzugeben (Eideszurückschiebung,
Relation) (1l. 38 D. 12, 2; 1. 9 C. 4, 1; Deutsche CPO. § 417). Thut er
keines von beiden, so gilt die bestrittene Thatsache als wahr, wie wenn er sie ein-
gestanden hätte (sog. poena recusati als Anwendung der poena confessi) (I. 38
cit.; § 417 Abs. 2 mit § 429 Abs. 2 der Deutschen CPO.). Dieselbe Wirkung
vollen Beweises der bestrittenen Thatsache tritt ein, wenn Delat den angenommenen
Eid nicht schwört; wenn er ihn ohne gleichzeitige bedingte Annahme zurückschiebt,
wo Relation unzulässig ist; endlich wenn Deferent den rite zurückgeschobenen Eid
seinerseits leistet (Deutsche CPO. § 429 Abs. 2, § 430, § 417 Abs. 2, § 428).
Dagegen gilt das Gegentheil der zu beweisenden Thatsache als wahr, wenn Delat
den zugeschobenen Eid schwört; wenn Deferent den vom Gegner angenommenen
Eid ihm erläßt; endlich wenn er den vom Delaten rite zurückgeschobenen Eid nicht
leistet (Deutsche CPO. § 428 Abs. 1, § 429 Abs. 1 und 2, §F 421, § 4300). —
Der S., in der geschilderten Anwendung schon dem Römischen Recht als jusjurandum
in judicio delatum bekannt, ist Beweismittel. Er entnimmt seine Beweiskraft der
natürlichen und allein würdigen Annahme, daß die Partei, indem sie eine Ver-
sicherung unter Anrufung der Gottheit vor Gericht abgiebt, die Wahrheit sagen
werde (vgl. den Art. Eid und Strippelmann, S. 186, 402); eine Annahme,
die überdies verstärkt wird durch das Vertrauen, mit welchem Deferent die Ent-
scheidung über die Wahrheit der Thatsache und damit indirekt über das streitige
Recht in das Gewissen seines Gegners verstellt hat (sog. Vergleichs= oder Vertrags-
natur des S.); eine Annahme endlich, die für Jeden, der den Eid selbst für heilig
und unverletzlich hält, bis zum Beweis des Gegentheils im einzelnen Fall eine
zwingende sein muß, und ebendarum den einmal geleisteten Eid auch der freien
Beweiswürdigung des Richters (ef. Deutsche CPO. § 442) entzieht. Auch nach
der Deutschen CPO. § 428 ist daher, in Abweichung von dem Prinzip des § 259,
die volle Beweiswirkung des S. gesetzlich statuirt, und Gegenbeweis resp. Anfechtung
des auf den Eid gegründeten Urtheils wegen Unrichtigkeit des Beschworenen nur
unter der Voraussetzung eines nachweisbaren Meineides gestattet (§ 428 Abfs. 2
mit § 543 Z. 1, § 544). Die gegentheilige Ansicht (s. von den Neueren bef.
Wach, S. 163 ff.; Wendt, S. 270 ff.; aber auch Wetzell, § 27 N. 29),
welche dem S. die innerliche Ueberzeugungskraft absprechen und ihn daher nicht als
Beweismittel, sondern nur als ein dasselbe Ziel, wie der Beweis, verfolgendes formales
Feststellungsmittel will gelten lassen, das seine feststellende Kraft lediglich aus dem
in der Delation liegenden Dispositionsakt des Deferenten ziehe, kommt mit sich
selbst in Widerspruch, indem sie dem Richter einerseits zumuthet, den Schwur-
pflichtigen über die Heiligkeit und Unverletzlichkeit des Eides zu belehren und ihm
v. Holtzendorff, Enc. II. Rechtslexikon III. 3. Aufl. 35