Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

588 Schöffen. 
StrafPrz. auch der Ausdehnung der Schöffengerichte in dem eben erörterten Sinne 
zu Statten: die immer deutlicher werdende Einsicht, daß eine Berufung gegen das 
Erkenntniß über die Thatfrage im mündlichen Verfahren nicht am Platze sei. In 
diesem Sinne hat der Oesterr. StrasP O.-Entw. von 1863 bei den Straffällen unterster 
Ordnung dem Richter drei Schöffen an die Seite gesetzt, so daß bei Stimmengleich- 
heit Freisprechung erfolgen, dagegen aber die Berufung ausgeschlossen sein sollte. 
Eine Weiterführung dieses (in Oesterreich wieder aufgegebenen) Gedankens ist es, 
daß die Württ. Strafp O. von 1868 nicht blos für die Verhandlungen der Ober- 
amtsgerichte neben zwei Juristen drei Schöffen zu einem Kollegium vereint, sondern 
die der Kompetenz der Französischen Zuchtpolizeigerichte entsprechende Mittelklasse 
der Straffälle (d. h. die nicht vor das Schwurgericht gewiesenen Verbrechen und 
Vergehen) einem Kollegium zuweist, welches (als Strafkammer des Kreisgerichtes) 
aus drei rechtsgelehrten Richtern und zwei S., eventuell aus vier Richtern und 
drei S. besteht, und welches dem Angeklagten ungünstige Urtheile nur mit einer 
Mehrheit von mindestens vier Stimmen gegen drei, eventuell von fünf Stimmen 
gegen zwei fällen kann, während zur Strafbemessung einfache Stimmenmehrheit 
genügt. Dagegen ist andererseits gegen Endurtheile auf dem ganzen Gebiet des 
Strafprozesses nur mehr die Nichtigkeitsbeschwerde eingeräumt. — Im Königreich 
Sachsen endlich wurde am 1. Okt. 1868 ein Gesetz erlassen, welches die Straffälle 
unterster Ordnung zwar den Einzelrichtern beläßt, jedoch die anderen nicht den 
(gleichzeitig eingeführten) Schwurgerichten zugewiesenen Strafsachen einem Kollegium 
überantwortet, das aus drei Richtern und vier S. besteht, über die Schuldfrage mit 
einer Mehrheit von mindestens fünf Stimmen inappellabel entscheidet, während die 
Strafbemessung von den drei Richtern allein mit Offenhaltung der Berufung vorgenommen 
wird. — Daß die Einrichtung ungemein komplizirt sei und die ganz willkürlich 
ausgestellten Verschiedenheiten des Strafverfahrens noch steigere, läßt sich nicht ver- 
kennen; der löbliche Zweck, Abschaffung der Berufung unter Herbeiführung neuer 
Garantien des richterlichen Verfahrens, wäre besser durch Aufstellung eines Kollegiums 
von vier Richtern oder noch besser durch Ueberweisung der korrektionellen Fälle an 
eine kleine Jury (etwa von sechs) erreicht worden. 
Eine neue, ganz unerwartete Wendung war dem Streit dadurch gegeben worden, 
daß das Preußische Justizministerium sich dafür entschied, in dem Entwurf des 
Gesetzes über die Deutsche Gerichtsorganisation und dem der Deutschen Straf PO. 
den S. in den Gerichten jeder Ordnung Raum zu gewähren (Denkschrift über S., 
ausgearbeitet im Preuß. Justizministerium, Berlin 1873). Schon das Bekannt- 
werden dieser Absicht rief eine große literarische Bewegung hervor, die noch eine 
Zeit lang fortwährte, obgleich die im Herbst 1874 dem Deutschen Reichstage vor- 
gelegten Entwürfe die S. gerichte nur mehr als Gerichte für Uebertretungen und leichtere 
Vergehen (§§ 14 bis 45, 55 des Ges.) hinstellten und aus dem Amtsrichter und 
zwei Schöffen zusammensetzten. Verfolgt man diese Bewegung aufmerksam und 
betrachtet man den Stand der Sache, wie er sich etwa Ende 1873 in den zwei 
neuesten und bedeutendsten Streitschriften gegen die Jury (denen von Binding 
und Schütze) darstellte, so kann wol kein Unbefangener mehr darüber im Zweifel 
sein, daß die sog. S. frage nur eine neue Phase in dem alten Streite zwischen Ge- 
schworenengerichten und reinen Juristengerichten war. Die S. rekrutirten ihre An- 
hänger aus dem Lager konsequenter oder rückfälliger Gegner der Jury; ihre erste 
Aufstellung war ein geschickter Schachzug, darauf berechnet, entweder das Fortschreiten 
des Jurygedankens aufzuhalten, oder, falls dies nicht gelingen sollte, den Uebergang 
unter seine Fahnen zu maskiren. Gelingt es daher, sei es durch literarischen Kampf, 
sei es durch eine legislative That, die Jury zu überwinden, dann wird das S. gericht 
von selbst verschwinden, da es für die meisten und bedeutendsten seiner Anhänger 
dann seinen Zweck erfüllt hätte und selbst zum Gegenstande ihrer Angriffe geworden, 
auch von den besiegten Verfechtern der Jury nicht vertheidigt würde, denen es für
	        
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