Schriftlichkeit der Willenserklürungen. 597
schauungen — hat wie alle Formen, so auch die S. fast ganz beseitigt. Diese wird
gemeinrechtlich nur in sehr wenigen Fällen erfordert, so besonders bei der großen
Schenkung, dem contractus emphyteuticarius über Kirchengrundstücke oder unter Ab-
änderung der naturalia negotül, Intercession der Frauen und letztwilligen Ver-
fügungen. Von den modernen Gemeinen Rechten hat das Handelsrecht das
Prinzip der Formlosigkeit in weitem Umfang (HGB. Art. 317). Nur wenige Aus-
nahmen sind im H#B. selbst enthalten; so wird S. erfordert bei dem Bodmerei-
vertrag (Art. 683), der Aktienzeichnung (Art. 174, 208), in dem Falle des Art.
314 und bei Entstehung der Aktiengesellschaften durch Eintragung in das Handels-
register (Art. 178, 211). Vgll. Thöl, H.R., § 240; s. auch die §§ 2 u. 6 des
Genossenschaftsgesetzes vom 4. Juli 1868 (B.G. Bl. S. 415). Daß das moderne
Rechtsbewußtsein überhaupt der S. nicht geneigt ist, ergiebt sich aus dem Votum
des 10. Deutschen Juristentages: „Die Gültigkeit von Verträgen soll auch, ab-
gesehen von Handelssachen, von der Beobachtung der schriftlichen Form in der Regel
Unabhängig sein.“
Unter den Partikularrechten hat das Preuß. Allg. LR. die S. bei Willens-
erklärungen in einem sehr weiten Umfang erfordert, und zwar generell bei allen
Verträgen, deren Gegenstand über 150 Mark beträgt (I. 5 § 131). Von dieser
Regel giebt es Ausnahmen nach beiden Seiten hin, bei deren Aufstellung eine leitende
Idee so wenig maßgebend gewesen ist, daß dadurch das ganze System des Allg. LR.
nur noch verwerflicher erscheint. Bei einer Reihe von Rechtsgeschäften ist immer
S. nothwendig ohne Rücksicht auf die Höhe des Objekts, während bei vielen an-
deren von dem Erforderniß der S. stets abgesehen wird (vgl. I. 5 §§ 133 ff.).
Die einzelnen Geschäfte sind zusammengestellt bei Bornemann, Erörterungen im
Gebiete des Preuß. Rechts, S. 149 ff. (1855); Förster, Theorie und Praxis, § 79
Anm. 65 u. 66, und Dernburg, Lehrbuch § 96 N. 2 u. 3. Die S. wird er-
fordert zur Klagbarkeit, ohne S. besteht nur eine natürliche Verbindlichkeit. Hierbei
ist wichtig die Bestimmung des Eigenthumserwerbsgesetzes vom 5. Mai 1872 (810),
wonach durch die Auflassung die Formmängel des der Auflassung zu Grunde liegen-
den Geschäftes geheilt werden. Die einseitige Erfüllung ohne die S. gewährt nur
einen Anspruch auf Rückgabe, bzw. Vergütung des Geleisteten (I. 5 8§ 155 ff.).
Die beiderseitige Erfüllung ersetzt den Mangel der S. vollkommen, außer bei Ver-
trägen über Immobilien, welche anfechtbar bleiben, wenn nicht bereits die Auf-
lassung erfolgt ist (vgl. Striethorst, Archiv, Bd. 74 S. 122, Bd. 75 S. 26).
Ueber Leistung von Handlungen auf Grund eines mündlichen Vertrages f. 8§ 165 ff.
1. Cc. Im Allgemeinen muß hier, was in der Natur der Sache liegt, die Gegen-
leistung gemacht werden. Dem Erforderniß der S. genügen außer förmlichen Ur-
kunden auch Punktationen, Briefe, Telegramme, unterschriebene Rechnungen, Pfand-
scheine und Aehnliches. Die Unterschrift eines Bevollmächtigten ist ausreichend,
wenn die Vollmacht schriftlich ausgestellt war. Stempelunterdrücke aber können
meines Erachtens die „Unterschrift“ nicht ersetzen. Ist die S. nur verabredet,
so wird vermuthet, daß nicht blos der Beweis, sondern die verbindliche Kraft des
Vertrages von der S. abhängen solle (§ 117 l. c.). Gegenbeweis ist zulässig.
Mündliche Nebenabreden sollen in keinem Falle berücksichtigt werden (§ 128 l. c.).
Diese Bestimmung trifft nach einer konstanten Praxis nicht zu für solche Neben-
abreden, welche die essentialia negotii berühren und eine Anfechtung des Vertrages
als rechtsungültig begründen.
Nach Oesterr. Recht wird S. erfordert zur Gültigkeit von Verträgen über
Grundeigenthum (Allg. BGB. § 434), bei nicht durch Uebergabe vollzogenen Schen-
kungen (§§ 943 und 956), Erwerbsgesellschaften (§ 1178) und bei Erbverträgen
(unter Ehegatten, § 1249). Das Gesetz vom 21. Juli 1871 schreibt notarielle Ur-
kunden vor für eine Reihe von Verträgen unter Ehegatten und mit blinden, tauben
oder stummen Personen.