Schulaufficht. 601
den Bekennern der nur geduldeten Konfessionen bürgerliche Gleichheit, eine freiere
Religionsübung und Selbstverwaltung zu verschaffen sucht. Es war schon ein
dynastisches Interesse, welches die größeren Reichsstände zu einer Behandlung ihrer
Unterthanen auf gleichem Fuß bewog. Allmählich aber macht sich auch ein mehr
oder weniger klar empfundenes Gefühl geltend, daß die Deutsche Nation nicht fort-
bestehen könne, wenn zwischen ihren Religionstheilen keine Ehe, keine Verwandtschaft,
keine sittliche Gemeinschaft von der Taufe bis zum Grabe, keine Gemeinschaft der Er-
ziehung, der Bildung der Humanitätsanstalten mehr bestehen könne. Das natur-
gemäße Verwachsen der politischen und der kirchlichen Gemeinen, des einheitlichen Staats
mit der historischen „Kirche“, welches allen anderen Völkern Europa's zum Ein-
heitsband für Staat und Gesellschaft geworden ist, wirkte in Deutschland als
ein stetiges, mächtiges, mit der Macht der Kirche wachsendes Element des Zwie-
spalts der Nation. Es erklärt sich daraus, sowie aus der Kleinheit der terri-
torialen Staatskörper, daß eine staatliche Bevormundung über die Kirchen sich so
übermäßig entwickelt hat. Ausführbar auf die Dauer war das System des Westf.
Friedens überhaupt nur, wo die katholische, lutherische, reformirte Bevölkerung in
größeren Gebicten ziemlich unvermischt zusammenlebten, nicht aber da, wo sie ört-
lich im engsten Verbande neben und durcheinander wohnten. Dies Verhältniß kam
am frühesten zur Erscheinung in Schlesien, seitdem es zur Preußischen Provinz
und die volle Gleichheit der beiden Kirchen zu einer Lebensbedingung des Preußi-
schen Besitzes geworden war. Auf diesem Boden entwickelte sich zuerst die Frideri-
zianische Idee, daß der Staat nicht blos abwehrend gegen die Ausschließlichkeit
der Kirchensysteme, sondern positiv ordnend die getrennten Glieder der Nation
wieder zusammenzufassen habe, durch die Einheit des Familienrechts und der
geistigen Bildung. Diesen Gedanken knüpft das Preuß. LR. von unten herauf
an eine volle Gleichstellung der kirchlichen Einzelgemeinden, von oben herab
an die einheitliche Oberleitung der Staatsgewalt: während es dazwischen die Stel-
lung der „kirchlichen Oberen“ (d. h. die bestehenden kirchlichen Verfassungen) im
Wesentlichen unverändert läßt. Innerhalb dieses Systems erscheint nunmehr die
Schule als „Veranstaltung des Staats“ der obersten Direktion der Staatsbehörden
unterworfen. Die Bezirks= und örtliche Aufsicht bleibt unter schonender Beibehaltung
des Herkommens verbunden mit dem Personal der kirchlichen Oberen. Daraus folgte
nun aber doch eine Unterordnung der „geistlichen Oberen“ unter Staatsgebote, welche
unvermeidlich zu einem Widerspruch mit kirchlichen Grundsätzen treten mußten,
je mehr die Schulen als „Veranstaltungen des Staates“ in wachsendem Maß den
Charakter der Gemeinsamkeit annehmen. An Hunderten von Orten war
es schon unter Friedrich d. Gr. unmöglich den kleinen armen Gemeinden und den
Gutsbezirken gesonderte Schulen für den katholischen und evangelischen Theil zu
geben. Diese Schwierigkeit wuchs und dehnte sich mit der Freizügigkeit später auf
das ganze Land aus, und auch für die höheren Unterrichtsanstalten wurde eine Benutzung
durch verschiedene Konfessionen noch unvermeidlicher als für die neueren. Die Idee,
einen „allgemeinen Religionsunterricht“, der beiden Religionstheilen gemeinsam sein
sollte, in solchen Anstalten zu ertheilen, ist nur vorübergehend und kaum im Ernst
aufgetaucht. Ebensowenig hat man sich mit dem anderswo beliebten Gedanken be-
gnügt, den Religionsunterricht von der „konfessionslosen“ Schule zu trennen. Die
Deutsche Gewissenhaftigkeit hat sich die Sache weniger leicht gemacht, vielmehr dem
eigenthümlichen Verhältniß des Landes entsprechend in dem Preußischen Schulregle-
ment von 1801 die schwere Aufgabe unternommen, mit dem gesonderten Unter-
richt in den kirchlichen Bekenntnissen den gemeinsamen Unterricht in den
Elementen der Wissenschaft zu verbinden, — eine dem Deutschen Leben eigenthümliche
Kombination, die sich von Schlesien auf die übrigen Landestheile und von den
unteren auf die höheren Unterrichtsanstalten ausdehnte. Die konfessionelle Mischung
der Bevölkerung und das Bewußtsein der vollen, grundsätzlichen Gleichberechtigung