602 Schulaufsicht.
der „Kirchen“ ließ keinen anderen Ausweg übrig. Der allgemeine Schulzwang,
sobald er ernstlich zur Durchführung kam, machte es unvermeidlich, Kinder einer
konfessionellen Minorität in Anstalten einzuschulen, die zunächst für die schulpflichtige
Jugend einer anderen Kirche entstanden und bestimmt waren. Die stetig weiter-
schreitende Vertheilung der Schulerhaltungslast auf die politischen Gemeinde-
verbände machte es unvermeidlich, die öffentlichen Schulen durch die Beiträge ver-
schiedener Konfessionen erhalten zu lassen, die nicht für Anstalten beansprucht werden
konnten, welche im Sinne kirchlicher Ausschließlichkeit geleitet wurden. In dem
ganzen Gebiet des öffentlichen Schulwesens mußte daher (unbeschadet des streng
konfessionellen Charakters alles Religionsunterrichts) eine stetige Rücksicht auf Kinder
anderer Bekenntnisse genommen werden, welche an dem Schulunterricht thatsächlich
Theil nehmen oder in Folge der Freizügigkeit und des Schulzwangs jederzeit einen
Platz in der Schulanstalt finden müssen. Demgemäß gestaltete sich nun auch die
S. Die Schulreglements Friedrich's d. Gr. und das Preuß. LR., indem sie eine
Lokal= und Kreisaufsicht der Schulen durch den Ortsgeistlichen und seine „geistlichen
Oberen“ vorbehalten, verpflichten die Geistlichkeit, sich „nach den vom Staate ertheilten
Schulordnungen zu achten“, und behalten die Entscheidung über „Meinungsver-
schiedenheiten“ zwischen den kirchlichen und weltlichen Leitern der Schule der
höheren Staatsbehörde vor (Allg. LR. II. 12 §§ 15—17). In Vorahnung
möglicher Konflikte ist in den Schulreglements von 1763, 1765 und 1801 auch schon
die Bestellung besonderer Staatsschulinspektoren neben den Erzpriestern vorbehalten.
Es waren hier eben andere Schwierigkeiten zu überwinden, als in den Staaten, denen
der Gedanke kirchlicher Gleichberechtigungen bis heute fremd geblieben ist und
die sich deshalb zu einer Vergleichung nicht eignen. Der Preußische Staat wußte
diese Schwierigkeiten seiner Zeit nur zu überwinden durch die Macht des absoluten
Staats, dem die katholische Geistlichkeit ebenso Obedienz leistete, wie die mit der
Staatsverwaltung eng verflochtenen evangelischen Kirchensysteme. In den Deutschen
Mittel= und Kleinstaaten kamen in Folge des Vorherrschens einer Kirche und in
Folge der geringeren Zersplitterung der Gemeindeverbände diese Schwierigkeiten erst
später und in geringerer Spannung hervor.
Wesentliche Aenderungen in diesen Verhältnissen mußten nun aber seit 1815
eintreten mit der Wiederherstellung des päpstlichen Kirchenregiments und der bischöf-
lichen Diöcesalregierungen, deren Macht und Bedeutung lange Zeit unterschätzt
wurde. Mit dem Kurialsystem lebte naturgemäß der Anspruch der Römischen Kirche
auf die Herrschaft über die Familie und Schule im Geist des Kanonischen Rechts
wieder auf und damit ein Widerstreben, bald auch ein systematischer Widerstand
gegen die bis dahin befolgten Anordnungen des Staats, zusammentreffend mit dem
allgemeinen Widerstreben der Nation gegen die „Omnipotenz“ des Absolutismus.
Wie alle gesellschaftlichen Postulate, so glaubte auch dies, durch allgemeine Sätze
(Grundrechte) die Verhältnisse zwischen Staat und Kirche zu regeln. „Jede Kirche
und jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbst-
ständig"“, — eine juristisch unfaßbare Allgemeinheit, die alsbald eine Auslegung
erhielt, durch welche alle Streitfragen zwischen Kirche und Staat uno actu zu
Gunsten der kirchlichen Regierungsgewalt entschieden sein sollten. Und da nun auch
die evangelische Kirche ein entsprechendes Maß der „Selbständigkeit“ beanspruchte,
so ergab sich eine centrifugale Bewegung, welche von der Volksschule herauf bis
zur Universität die Elemente der Gemeinschaft aufzulösen und mit dem Schlagwort
der „Konfessionalität“ in der Schule wie in der Ehe zu den Grundsätzen des West-
fälischen Friedens zurückzukehren versüchte. Die seit 2 Jahrhunderten mühsam
errungene Einheit sollte lediglich eine Verirrung der Aufklärungsperiode, als ein
Erzeugniß der Französischen Revolution sein. Mit gleichem Eifer (aber mit sehr
ungleichem Erfolg für die kirchliche Herrschaft) wurde die ausschließliche Bestimmung
der Unterrichtsanstalten für den einen oder anderen Religionstheil, namentlich in