626 Schwurgericht.
ausgebildet, indem jede Klage, die entweder unmittelbar zur Anwendung der In-
quisitio führen sollte oder sonst aus irgend einem Grunde ein königliches Mandat
erheischte, ihr eigens stilisirtes Breve erhielt (vgl. Th. I. S. 254). Den Rechts-
streitigkeiten, welche sonst durch das strenge Beweisrecht des formalen Rechtsganges
hätten entschieden werden müssen, wurde durch die Brevia die Vergünstigung er-
leichterter Beweisführung zu Theil. In Besitzstreitigkeiten geben die Brevia (B. de
possessione) nicht nur eine Beweisvergünstigung, sondern überhaupt erst ein Klage-
recht, da der alte formale Rechtsgang einen selbständigen Besitzprozeß nicht kannte
und nach der Natur seines Beweisrechtes füglich nicht kennen konnte. Die Assise
Heinrich's II. wurde die Lex Aebutia des Englischen Civilprozeßrechtes, dem sie auf
Jahrhunderte hinaus die Grundrichtung seiner Entwickelung gab. Sie hat den alten
formalen Prozeß, welcher von vornherein dem allmählichen Untergange geweiht
war, in die Bahn der Reform hinübergeleitet und dadurch dem Englischen Recht die
Aufnahme des Römisch-kanonistischen Prozeßrechtes erspart, sie hat zugleich die welt-
liche Justiz in Stand gesetzt, die Konkurrenz mit der kirchlichen Gerichtsbarkeit
siegreich zu bestehen, welche damals nicht blos in Folge der allgemeinen Präpon-
deranz der Kirche, sondern auch durch die Ueberlegenheit des Kanonischen Prozeß-
rechtes die weltliche Jurisdiktion mit ihrem ungefügen formalen Rechtsgang zu
überwuchern drohte.
Weil und soweit die Inquisitio ein ordentliches Beweismittel geworden war,
mußten die bis dahin schwankenden Formen rechtlich bestimmt werden, wenn man
sich nicht auf das Ermessen der Beamten verlassen wollte, denen die Einleitung
oder auch die Durchführung der Inquisitio überwiesen war. So wurde die Zahl
der Geschworenen fixirt, welche der Englische Vizekomes, der Normannische Bailli zu
einer Rekognitio einzuberufen hatte. Als Regel stellte sich die Zwölfzahl fest, wenn-
gleich die Geschworenenzahlen bei einzelnen Inquisitionen noch lange Zeit differiren,
so daß es unrichtig wäre, die Zwölfzahl als ursprüngliches Kriterium der Jury zu
betrachten. Ebenso wurde es nothwendig, über die zur Gültigkeit eines Wahr-
spruches erforderliche Stimmenzahl bestimmte Normen aufzustellen. Bei petitorischen
Klagen verlangte man, da ja hier eventuell das formale Beweisverfahren im Hinter-
grunde stand, in England zwölf, in der Normandie nach einigem Schwanken elf
einklängige Stimmen. In possessorischen Sachen begnügte man sich mit der strikten
Majorität, so daß man es wol auch ausreichend fand, von vornherein nur sieben
Geschworene vorzuladen, die aber dann natürlich übereinstimmen mußten. Der
Wahrspruch wird zwar in erster Linie stets durch die Jury als Gesammtheit ab-
gegeben; jedoch hat der inquirirende Richter im Falle eines unklaren, verdächtigen
oder nicht einstimmigen Spruches die Befugniß, die Geschworenen von einander zu
trennen und einzeln um die Gründe ihres Wissens zu befragen, während sonst der
Wahrspruch das Beweisthema, wie es von vornherein durch den Wortlaut des
Breve festgestellt wurde, unmittelbar erfaßt. Der Inquisitio ex brevi mußte stets
eine Besichtigung des Streitgegenstandes, der Visus terrae, vorausgehen, ein Er-
sorderniß, welches sich daraus erklärt, daß der formale Prozeß mit peinlicher Strenge
die genaue Bestimmung des Streitobjektes verlangte. Jenem Visus entsprechend
lautete der Eid der Englischen Geschworenen: Hoc auditis Justiciarii quod veritatem
dicam de assisa ista et de tenemento, de quo visum feci per praeceptum domini
Regis et pro nihilo omittam quin veritatem dicam. Die Geschworenen müssen,
wie in Fränkischer Zeit, aus den Angesehensten gewählt werden. Es sollen nur
Nilites oder doch legales homines als Juratores fungiren, welche zufolge ihrer
sozialen Stellung unter den Umsassen als das Organ betrachtet werden können,
durch das sich die Gemeindeüberzeugung bezüglich der streitigen Thatsache ausspricht.
Als technische Bezeichnung der Inquisitio ex brevi wird in der Normandie das
Wort Recognitio, in England der Ausdruck Assisa gebraucht, welcher andeuten
will, daß die Einrichtung durch königliche Satzung (Assise) entstanden sei.