Schwurgericht. 629
richt aussagen zu lassen. Vollständig ausgebildet erscheint dieses Deponiren der
von den Parteien produzirten Zeugen in dem von Fortescue 1460 verfaßten
Werk: De laudibus legum Angliae. Daneben wird aber von Fortescue auf die
eigene Kenntniß der Geschworenen und deren Nachbarnqualität noch besonderer Werth
gelegt; als Gemeindegenossen könnten ihnen die fraglichen Thatsachen nicht völlig
unbekannt sein, außerdem aber müßten sie — ein Fingerzeig für die Gründe der
Unterordnung des Spezialzeugnisses unter das Notorietätszeugniß — Bescheid
wissen über Ruf und Glaubwürdigkeit der produzirten Privatzeugen. Und den
Mangel der Jury außerhalb Englands erklärt Fortescue daraus, daß im Aus-
lande der gleichmäßige Wohlstand der Englischen Gesellschaft fehle und daß man
daher die Jury nur aus armen, also unzuverlässigen Leuten zusammensetzen könnte
oder aus solchen, welche vom Orte des Streitpunktes sehr entfernt wohnen und da-
her nichts davon wissen.
Demnach fungirten in der Zeit Fortescue's die Geschworenen in Fällen, wo
ihnen Evidence vorgelegt worden, theils als Urtheiler über die vor ihnen verhörten
Spezialzeugen, theils als Gemeindezeugen. Weil sie das letztere sind, künnen sie ihr
Verdikt auch gegen die vorgelegte Evidence abgeben, indem sie ihr eigenes Wissen
über dieselbe stellen. Sie sind ferner in der Lage, ohne Vorlegung von Beweis-
material blos auf ihr eigenes Wissen hin ein Verdikt abzugeben. Demgemäß sind
sie auch noch wegen unwahren Spruches dem Attainteverfahren ausgesetzt.
Wesentliche Fortschritte nach der Richtung der Urtheilsjury hin bekundet eine
Darstellung des Verfahrens, welche ein Jahrhundert nach der Abfassung von For-
tescue's Schrift entstanden ist. Thomas Smith führt in seinem 1565 ge-
schriebenen Traktate: De republica Anglorum unter den Vorzügen Englands,
namentlich die Jury an und giebt bei diesem Anlasse eine eingehende Beschreibung
dieser Institution. Die Zeugen werden vor den Geschworenen denn Kreuzverhör
unterworfen. Der Richter giebt der Jury, ehe sie sich zur Abgabe des Wahrspruchs
zurückzieht, ein Resumé der Verhandlung. Die Geschworenen werden bei der Be-
eidigung verpflichtet ad facti veritatem dicendam secundum probationes in
iudicium deductas et conscientiam suam.
In richtiger Werthschätzung des durch das öffentliche Kreuzverhör geläuterten
Beweismaterials wurde das Gebiet, auf welchem das vor der Oeffentlichkeit latent
bleibende Zeugniß der Geschworenen sich geltend machen konnte, von Rechtswegen
eingeschränkt. Die Eigenschaften eines Spezialzeugen und eines Geschworenen
wurden für unvereinbar erklärt und zugleich wurde der Begriff des Spezialzeugnisses
allmählich so weit ausgedehnt, daß das bei den Geschworenen vorausgesetzte und zu-
lässige Wissen schließlich auf das Maß der allgemeinsten Notorietät beschränkt wurde.
Es geschah 1650, also in den Tagen Oliver Cromwell's, daß die damals
Bancus superior genannte Kingsbench die Entscheidung fällte, ein Geschworener dürfe
seine besondere persönliche Kenntniß von der Streitsache seinen Mitgeschworenen nicht
heimlich mittheilen, sondern er müsse seine Aussage im Gerichtshofe öffentlich wie
ein Zeuge abgeben. Hand in Hand mit dieser Entwickelung geht das allmähliche
Verschwinden der Attainte. Da die Geschworenen auf vorgelegte Beweismittel hin
sprechen, können sie nicht mehr wegen unwahren Zeugnisses zur Verantwortung ge-
zogen werden. Schon Smith erwähnt die Attainte als eine veraltete Einrichtung.
An Stelle der Ueberführung der Geschworenen tritt die Rechtssitte, ein neues Ver-
fahren, new trial, zu gewähren, wofür sich seit Mitte des 17. Jahrh. sichere Bei-
spiele nachweisen lassen.
Trotz Alledem wird der Satz: vicinus facta vicini praesumitur scire, welcher
der Beweisjury zu Grunde lag, aber für die Urtheilsjury keine Berechtigung mehr
hatte, in der Theorie und in einzelnen praktischen Anwendungen noch durch längere
Zeit festgehalten. Mit der ihm eigenthümlichen Zähigkeit blieb das Englische
Common Law auf der Forderung bestehen, daß die Jury aus dem PVicinetum zu