634 Schwurgericht.
Antheil an der Rechtspflege gestattet wird, verdankt sie vielmehr ihre Reception in
England dem scharf durchgreifenden Auftreten des Normannischen Königthums, ihre
älteste Entwickelung aber der sorgsamen Pflege der Anglonormannischen Jurisprudenz,
welche an dieser Einrichtung bereits ihren Scharfsinn übte, als anderwärts noch
keine Germanische Jurisprudenz bestand. Erst als die Ausartungen des kontinen-
talen Inquisitionsprozesses zur Vergleichung herausforderten, trat sie in die helle
Beleuchtung einer freiheitlichen und menschenwürdigen Institution. An der Wende
des Mittelalters, als ihre Entwickelung zur reinen Urtheilsjury eben in vollem Zuge
ist, zeichnet Fortescue, der älteste Herold ihrer Vorzüge, als Gegenstück zu seiner
Darstellung der S., in düsteren Farben das jammervolle Bild des kontinentalen
Torturverfahrens.
Trotz aller Umwandlungen, welche sie durchgemacht, hängt die Jury von heute
in einem Punkte prinzipieller Bedeutung mit den Grundsätzen des Germanischen Be—
weisrechtes zusammen, aus welchem sie allmählich herausgewachsen ist. Das Ge—
richt, das auf den Spruch einer Jury hin über die Sühne der vorliegenden Rechts-
verletzung urtheilt, nimmt zur Beweisfrage dieselbe Stellung ein, wie die Germa-
nischen Urtheilfinder. Wie im Altdeutschen Prozeß das Beweisverfahren ein fertiges,
in sich abgeschlossenes Ergebniß lieferte, das nicht erst der richterlichen Prüfung
bedurfte, so ist auch im S. verfahren die Entscheidung der Beweisfrage ein vom
richterlichen Ermessen unabhängiges Produkt des Prozesses. Indem die subjektive
Ueberzeugung des Gerichts ausgeschlossen blieb vom Beweisverfahren, hat die Jury,
ein ursprüngliches Beweismittel, durch ihre allmähliche Umbildung zur Urtheilsjury
den Rahmen für die Entwickelung eines materiellen Beweisrechts abgegeben.
Lit.: Biener, Das Engl. Geschworenengericht, 3 Bde., 1852—1855. — Forsyth,
History of trial by Jury, new edition 1875. — Palgrave, The Rise and Pro-
gress of the English Commonwealth, 2 Bde. 1832. — Konrad Maurer in der Krit.
Ueberschau V. 180 ff., 322 ff., 1857. — Heinrich Brunner, Zeugen= und Ingquisitions-
beweis, 1866; Derselbe, Entstehung der S., 1872. Die obige Darstellung giebt die Resultate
der letztgenannten Untersuchung in kurzem Auszuge; doch ist die Geschichte der Urtheilsjury,
welche dort nur ganz vorübergehend berührt wurde, hier theilweise berichtigt und erweitert
worden. — Weitere Lit. in meiner Entstehung der S. — Bgl. ferner Stubbs, Lhe
Constitutional History of England, I. 1874. — Bigelow, History of procedure in England
from the Norman Conquest, 1880. — Sohm in v. Sybel's historischer Ztschr. XV. 163.—
Silberschlag im Gerichtssaal, XXVI. Heinrich Brunner.
Schwurgericht ist diejenige Gerichtsform, in welcher zur Feststellung des
juristisch-relevanten Sachverhaltes im Gegensatz zur Präcifirung der daraus sich er-
gebenden praktischen Konsequenzen (also zu dem deklarativen Theil des Urtheils im
Gegensatz zu dem dispositiven) Staatsrichter und aus der Bevölkerung von Fall zu
Fall herbeigerufene Männer, von welchen juristische Bildung nicht gefordert wird
(Geschworene), ohne zu einem Kollegium vereint zu werden (Schöffengericht,
s. diesen Art.), zusammenwirken.
I. Zur Stunde hat das S. für den Kontinent noch lediglich für den Straf-
prozeß Bedeutung, weshalb im Folgenden auch nur von der Kriminaljury gesprochen
wird. Für den Strafprozeß nun liegt die scharfe Grenzlinie zwischen den Funktionen
der Richter= und der Geschworenenbank dort, wo dem Ausspruch über die Schuld
der über Strafe, Prozeßkosten und Privatansprüche folgt. Der Ausspruch über die
Schuld und zwar in einer Form, in welcher er nicht blos die Feststellung nackter
Thatsachen, sondern die Subsumtion derselben unter die gesetzlichen Ausdrücke um-
faßt, kommt der Geschworenenbank zu. Die Richter haben an diesem Ausspruch
nur mittelbaren Antheil, insofern sie nämlich dafür zu sorgen haben, daß der Aus-
spruch nur auf Grund eines streng gesetzlichen Verfahrens und insbesondere eines
den positiven und aus der Natur der Sache entspringenden Regeln entsprechenden
Beweisverfahrens ergehe, daß den Geschworenen die zur Entscheidung des konkreten
Falles erforderliche Rechtsbelehrung zu Theil werde und daß durch Formulirung