Schwurgericht. 635
der von ihnen zu beantwortenden Fragen die sachliche und formelle Korrektheit ihres
Wahrspruches und die Einschränkung desselben auf den Gegenstand der Verhandlung
und auf die ihn betreffenden Rechtsnormen gesichert werde. Bei richtiger Auffassung
soll das S. als ein integrirender und organisch eingefügter Theil der Gerichts-
institutionen des Landes erscheinen; die Geschworenen müssen sich als Richter fühlen,
d. h. einerseits als Diener und Organe des Gesetzes, denen eine genau abgegrenzte
Funktion zukommt, andererseits aber auch als unabhängige Männer, die ihre Ent-
scheidung lediglich nach gewissenhafter Ueberzeugung einrichten.
Aus dieser Grundanschauung ergeben sich für die Stellung und Einrichtung
des S. folgende Konsequenzen:
1) Die Jury ist keine politische Institution, oder sie ist es nur in
dem Sinne, als Alles, was eine gute und unabhängige Justiz sichert, Gegenstand
auch einer berechtigten politischen Forderung ist. Alles, was ihr einen spezifisch-
politischen Charakter beilegt, schädigt ihre Wirksamkeit und fälscht ihren Charakter.
Zu vermeiden ist daher vor Allem eine Einrichtung, welche ihre Aufgabe unter dem
Einfluß spezifisch-politischer Momente abgrenzt: es soll kein, sonst zur Verhandlung
vor Geschworenen sich eignendes Delikt, darum, weil es mit politischen Kämpfen zu-
sammenhängt, der Jury entzogen; ebensowenig aber soll es ihr lediglich aus diesem
Grunde zugewiesen werden. Noch viel bedenklicher wäre es, die Jury ausschließ-
lich für politische Prozesse zu konstituiren, und eben darum ist es — wenn es gleich
wahr ist, daß Preßdelikte aus juristischen Gründen sich vorzugsweise für Schwur-
gerichte eignen — ein großer Fehler, Schwurgerichte lediglich für Preßsachen, die
doch zumeist eine politische Seite haben, einzusetzen (wie z. B. 1869 in Oesterreich
geschah). Neben der Bestimmung der Kompetenz ist es namentlich die Art der
Bildung der Geschworenenlisten, worin sich manifestirt, daß der Gesetzgeber
der Jury einen politischen Charakter beimißt. Wenn man die Oualifikation für
den Geschworenendienst mit der Wahlberechtigung für die Volksvertretung identifizirt,
so thut man sein Möglichstes, um dem Geschworenen glauben zu machen, daß er
nicht als Richter, sondern als Volksvertreter auf der Geschworenenbank sitze, und daß
die öffentliche Meinung statt der Stimme seines Gewissens aus ihm sprechen solle.
Wenn man die Berufung zum Geschworenendienst von dem Ermessen sei es eines
Administrativbeamten, sei es einer solchen Kommission, die naturgemäß politische
Rücksichten über alle anderen stellt, abhängig macht, so darf man sich nicht wundern,
wenn der Geschworene sich als Parteimann fühlt und beträgt.
2) Die Geschworenenbank muß bei Lösung der ihr zugewiesenen Aufgabe un-
abhängig vom Gerichte bleiben; es ist daher in hohem Grade zu mißbilligen,
wenn der Präsident oder der Gerichtshof bei Entscheidung von Inzidentstreitigkeiten
durch Bemerkungen, die sie fallen lassen, durch Beengung des Beweisverfahrens,
durch eine den Geschworenen die Freiheit der Beurtheilung verkümmernde Fassung
der Frage die Unabhängigkeit der Jury beeinträchtigen. Die Jury darf aber auch
andererseits nicht vergessen, daß ihr beschränkte Attributionen zugewiesen sind; sie darf
nicht in die Funktionen des Richters, des Begnadigers oder des Gesetzgebers eingreifen
wollen, nicht nach demjenigen streben, was man wol auch geradezu die Allmacht
der Jury genannt hat. Die Feststellung des berechtigten Gebietes der Jury ist
in Frankreich aus dem doppelten Grunde mißlungen, weil man von einer falschen
Grundanschauung der Aufgabe der Englischen Jury ausging und weil man von
allen Seiten her immer wieder die Politik einmischte. Die Deutschen Gesetzgebungen
übernahmen anfangs die Französischen Einrichtungen ohne genauere Prüfung, und
nur sehr allmählich bricht sich (zum Theil auch mit Hülfe der Polemik über den
Werth der Jury) eine richtigere Auffassung Bahn. So lange man in Abrede stellte,
daß der Wahrspruch der Jury die Subsumtion unter das Strafgesetz vollzieht, so
lange konnte man auch nicht in die Lage kommen, die Wechselwirkung von Richtern