Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

686 Schwurgericht. 
und Geschworenen einfach und natürlich zu regeln, und Vorforge sowol gegen Irr- 
thümer der Geschworenen, als gegen die Irreführung derselben zu treffen. 
3) Die Jury wird sich nie als eine richterliche Institution darstellen, wenn 
das Schwurgerichtsverfahren nicht in das Ganze des Strafprozesses organisch ein- 
gefügt ist. Der berechtigten Singularitäten des S. verfahrens giebt es nur sehr 
wenige; sie lassen sich in der That auf zwei Quellen zurückführen: die Nothwendig- 
keit des Zusammenwirkens zweier von einander unabhängiger und nur periodisch zu- 
sammenzubringender Körper, und den Umstand, daß bei der Bildung der Geschworenenbank 
der Zufall und Parteienrechte (Ablehnung, Zustellung der Listen rc.) eine gewisse 
Rolle spielen, vermöge deren die Parteien verlangen können, daß der formgerechte 
Ausspruch dieser Jury bindend bleibe. Singularitäten, welche sich nicht streng 
aus diesen Grundursachen ableiten lassen, tragen nur dazu bei, daß die Jury gewisser- 
maßen als außer dem Gemeinen Recht stehend angesehen werde. Es ist daher nicht 
zu billigen, wenn bei der Versetzung in Anklagestand, bei der Festsetzung des Ein- 
flusses, den das Geständniß auf das Verfahren übt, die S fälle wesentlich anders 
behandelt werden, als andere Straffälle. Noch tiefer aber muß es das Rechtsgefühl 
verletzen, wenn etwa die ständigen Gerichte an Beweisregeln gebunden werden, während 
daneben Geschworene das Recht der freien Beweiswürdigung üben, wenn für Aus- 
sprüche der Richterkollegien über die Schuldfrage die einfache Stimmenmehrheit genügt, 
während bei der Jury eine künstliche Majorität gefordert oder ihr Abgang dazu 
benutzt wird, die Entscheidung dem Richterkollegium zuzuschieben, — wenn der 
richterliche Ausspruch über die Schuldfrage der Berufung unterworfen ist, während 
der der Jury etwa nicht einmal durch die Nichtigkeitsbeschwerde anfechtbar ist. 
II. Mannigfach waren die Kämpfe, welche das S. auf dem Europäischen 
Kontinent zu bestehen hatte, um weite Gebiete zu gewinnen und zu behaupten. 
Während es in der Ausprägung, die ihm sein Heimathland, England, gegeben, mit 
der Englischen Sprache und Flagge in unermeßliche außereuropäische Gebiete einzog, 
wo es die ersten Anfänge christlicher Gesittung bezeichnen hilft und doch auch in 
den entwickeltesten Staatsgebilden von Angelsächsischem Typus nicht fehlt, hat es in 
Europa (von Malta abgesehen) seinen Ausgangspunkt von Frankreich und dessen 
großer Revolution genommen. In jener Grundform, welche es 1791 in Frankreich 
annahm, ist es im Gefolge der Französischen Heere auf Deutsches Gebiet gelangt 
(nicht auch in das Napoleon I. unterthänige Italien) und hat sich daselbst in kurzer 
Frist soviel Anhänglichkeit der Bevölkerung erworben, daß es nicht wieder beseitigt 
werden konnte. Als ein integrirender Bestandtheil der Französischen Justizeinrich- 
tungen, ja der politischen Institutionen Frankreichs, die bei häufigem Wechsel der 
obersten Spitze doch eigentlich konstant geblieben sind, angesehen, hat es dann auch 
in anderen Deutschen Gebieten warme Anhänger gefunden und auch sonst in Europa, 
wo die Französischen politischen Institutionen Nachahmung fanden (Italien, Griechen- 
land, Rumänien, Spanien, selbst Rußland, — im Gegensatz zu den Niederlanden, 
wo die Jury beseitigt wurde), sich Eingang verschafft. Speziell im Deutschen 
Sprachgebiete muß man folgende Phasen unterscheiden: Bis zum Jahre 1848 ward 
der Jury an und für sich wenig Aufmerksamkeit geschenkt; selbst Feuerbach hatte 
sie in seiner 1812 gedruckten, aber erst 1813 erschienenen Schrift über das Geschworenen- 
gericht zunächst nur als Theil des auf Deutschland lastenden Napoleonischen Systems 
behandelt; in der sonstigen Polemik mit ihrem bekannten politischen Hintergrunde 
ward sie eben als Theil der Französischen Einrichtungen mit bekämpft und mit 
verfochten; und als solcher Theil ward sie nach der Wendung, die das Jahr 1848 
herbeiführte, durchgesetzt. Jetzt aber begann eine neue Epoche — die der juristisch- 
technischen Würdigung der Jury als einer Rechtsinstitution und als einer mit 
anderen Fortschritten des Strafprozesses nicht unbedingt zusammenhängenden Einrichtung. 
Einerseits ward nun die Nothwendigkeit erkannt, das Wesen der rezipirten Einrichtung 
gründlich zu studiren und diese Erkenntniß führte dahin, daß die Quelle des schwurgericht-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.