Seeversicherung. 657
gespielt zu haben; zahlreiche Rechtssprüche des Schöffengerichts daselbst aus der
Mitte des 15. Jahrh. (1444—1470) lassen erkennen, daß in Brügge die Handels-
leute von Genua, Florenz, Lucca, Venedig und Salamanca nicht minder als die
von Frankreich und Flandern selbst ihre Schiffe und Ladungen gegen Seegefahr
versicherten und welche als Versicherer wie als Versicherte Recht nahmen vor der
„Chambre des échevins des Bruges“; die Raschheit der Exekution in S dsachen
wurde besonders für Flandern verordnet durch einen Erlaß des Herzogs
Philipp von Burgund vom 15. Febr. 1458; einen ähnlichen Zweck verfolgte eine
Verordnung Karl's V. vom 25. Mai 1537, während im materiellen Versicherungs-
wesen selbst die Gewohnheit nahezu ausschließlich rechtserzeugend wirkte und ins-
besondere die unbeschränkte Versicherungsfreiheit, der Gebrauch der Policen, die Ver-
sicherung des imaginären Gewinnes und die Versicherung gegen Wegnahme des
Schiffes (sei es Seeraub oder Kaperei oder Verfügung von hoher Hand), all dies
schon am Anfang des 16. Jahrh. in freiester Ausdehnung gewohnheitsrechtlich zu-
lässig, geordnet und geübt war. Diese S. freiheit erfuhr da, wo sie am bedeutendsten
blühte, aber auch manche Mißstände erzeugte, in den Niederlanden, die erste Ein-
schränkung durch ein Placard Karl's V. vom 28. Januar 1549, in welchem, ähn-
lich wie in Barcelona und Burgos bereits Rechtens war, namentlich das versicher-
bare Interesse gesetzlich limitirt wurde. Einen merkwürdigen Eingriff in die S.,
welche auch im 16. Jahrh. noch wesentlich durch Gewohnheitsrecht, aus der Mitte
des genannten Jahrhunderts hauptsächlich durch das Coutumerecht der Antwerpener
Börse geregelt und fortgebildet ward, enthalten zwei Ordonnancen des Herzogs von
Alba vom 31. März 1569 und 27. Okt. 1570: sie verbieten für den gesammten
Niederländischen Handel die S., und zwar deshalb, weil die versicherten Rheder die
Ausrüstung und Bewaffnung ihrer Schiffe vernachlässigten und dadurch die Unfälle
und insbesondere den Seeraub indirekt förderten und weil in das O hgeschäft selbst
sich eine Menge von Betrügereien und Mißbräuchen eingenistet hatte; die leb-
haften Reklamationen, welche der Seehandelsstand gegen diese Maßregeln erhob,
führten dazu, daß der Herzog das Verbot wieder aufhob, aber zu einer gesetzlichen
Regelung des S. wesens überging. (Ueber die Geschichte des S.recht s. insbesondere
Reatz a. a. O.) Von da an beschäftigte sich überhaupt die Gesetzgebung mit der
S. in allen Seehandel treibenden Ländern, und so kam es, daß die S. dasjenige
Gebiet des Versicherungswesens bildet, welches die ausführlichste und am feinsten
durchgebildete Regelung fand und besitzt (vgl. außer Reatz auch Benecke,
Tecklenborg und Brandt a. a. O.), im Deutschen Reiche in Folge der Ein-
führung des (in Oesterreich nicht eingeführten) fünften Buches des Allg. Deutschen
HG#. Tit. 11.
Der Seeassekuranzvertrag ist als besondere Art des Versicherungsvertrags den
allgemeinen Regeln dieses letzteren unterworfen und von der Idee des Assekuranz-
wesens überhaupt beherrscht; hierüber s. d. Art. Versicherungsvertrag.
Was den Abschluß des S. vertrags anlangt, so schrieb die Gewohnheit und
theilweise auch die Gesetzgebung vergangener Jahrhunderte den Gebrauch von Schrift-
stücken, ja sogar von bestimmten Police-Formularen für die Abschließung des Rechts-
geschäfts der S. vor (z. B. die Ordonnance von Philipp II., gegeben zu Brüssel
am 31. Okt. 1563, Kap. II. u. III.); für diese Papiere waren früher die Namen:
„carta à scriptura de la seguretat“ odber „seguretats“ (Barcelona 1435) oder
„Cédule d’asseurance“, lettre d’asseurance“, von 1468 an schon „police d’'asse-
urance“ gebräuchlich. Die uns überlieferten Policen (z. B. in der eben erwähnten
Ordonnance, die Policen (brieven van assurantie ende versekerbeyt) von Antwerpen
und Hamburg, ferner die formula assecurationis, welche Benvenuto Straccha, Tract.
de assecurat., 1569, aus der anconitanischen Seehandelspraxis 1567, mittheilt)
bieten anschauliche Bilder von den Einzelheiten der S. damaliger Zeit. In den
heutigen Rechten ist der Abschluß des S. vertrags nicht mehr an die Erfüllung einer
v. Holtzendorff, Ene. II. Rechtslexikon III. 3. Aufl. 42