Politische Verbrechen. 65
ziehung werden denn auch wol die p. V. und die durch die Presse begangenen Ver-
brechen nebeneinander genannt. Diese Besonderheiten jedoch, die man den p. V.
für das gerichtliche Verfahren vindizirt hat, sind nach zwei Seiten hin bedeutsam
geworden. Von der einen Seite wollte man die p. V. nicht von Geschworenen-
gerichten abgeurtheilt wissen — so ist z. B. in Preußen, nach voraufsgegangener
Abänderung des Art. 95 der Verf. Urk., durch Gesetz vom 25. April 1853 ein be-
sonderer Gerichtshof errichtet worden, der sog. Staatsgerichtshof, welchem die Unter-
suchung und Aburtheilung sämmtlicher Fälle des Hochverraths und des Landes-
verraths, sowie der Fälle von Thätlichkeiten gegen den König und die Mitglieder
des Königl. Hauses, sowie endlich der feindlichen Handlungen gegen befreundete
Staaten und zwar ohne Zuziehung von Geschworenen übertragen ist —,
von der anderen Seite hat man dagegen die p. V. und die durch die Presse be-
gangenen Delikte gerade als solche bezeichnet, welche schlechterdings immer nur unter
Mitwirkung von Geschworenen abgeurtheilt werden können. So hatte beispielsweise
in Preußen Art. XIX. des EG. zum Straf GB. (14. April 1851) einzelne Delikte
(Straf# B. §§ 78, 84, 85, 86, 98, 99) „als p. V.“ den Schwurgerichten zu-
gewiesen, und das Preßgesetz vom 12. Mai 1851 (5 27) bestimmte, daß die mittels
der Presse verübten Vergehen, welche mit Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren
bedroht seien, zur Kompetenz der Schwurgerichte gehören sollten. Diese Bestimmungen
sind dann aber später durch Gesetz vom 6. März 1854 aufgehoben worden. Die
Verfassung für den Norddeutschen Bund hatte Art. 75 für den gegen den Nord-
deutschen Bund begangenen Hochverrath und Landesverrath als Gerichtshof das
Opp.Ger. zu Lübeck bestimmt. Diese Vorschrift ist auch in Art. 75 der Verfassung
für das Deutsche Reich übergegangen. Da indessen dasjenige Ref., durch welches
die näheren Bestimmungen über die Zuständigkeit und das Verfahren des OApp. Ger.
festgesetzt werden sollten, nicht erfolgte, so blieb es bis zum Inkrafttreten des G.
(1. Oktober 1879) bei dem, was die Verfassung des Deutschen Reiches für die Zeit
bis zum Erlaß dieses Resetzes angeordnet hatte, d. h. es verblieb auch in Betreff
der gegen das Reich etwa vorkommenden Fälle von Hochverrath und Landesverrath
bei der seitherigen Zuständigkeit der Gerichte in den einzelnen Bundesstaaten. —
Jetzt ist durch das GG. vom 27. Januar 1877 die Frage, welchen Einfluß die
etwaige politische Beschaffenheit eines Verbrechens auf das gerichtliche Verfahren
äußere, in folgender Weise beantwortet worden: der Regel nach ist es für die ört-
liche und sachliche Zuständigkeit der Gerichte, sowie für das Verfahren ganz gleich-
gültig, ob ein Verbrechen oder Vergehen den Charakter eines p. V. hat, oder ob
dies nicht der Fall ist. Eine Ausnahme von dieser Regel enthält nur das G.
§ 136 Nr. 1, nach welcher Bestimmung für die Untersuchung und Entscheidung in
erster und letzter Instanz in den Fällen des Hochverraths und des Landes-
verraths, insofern diese Verbrechen gegen den Kaiser oder das Reich gerichtet
sind, ausschließlich das Reichsgericht zuständig sein soll. Hiermit hängt es denn
zusammen, daß einzelne wenige, durch diese Vorschrift nöthig gewordene, das Ver-
fahren betreffende Bestimmungen in die Strafp O. ausgenommen sind (vgl. StrafP O.
§§ 184, 176, 484; GWVG. S§ 138, 139). Die Presse hat in den Justiggesetzen
eine besondere Beachtung nur insoweit gefunden, als nach § 6 des EcG. zum GVG.
die bestehenden landesgesetzlichen Vorschriften für die durch die Presse begangenen
strafbaren Handlungen unberührt bleiben sollen; während im Uebrigen die durch
die Presse begangenen Verbrechen nur dann von den Schwurgerichten abgeurtheilt
werden, wenn die Voraussetzungen des G. 8§ 80 vorliegen.
Abgesehen von diesen Fällen, hat der Ausdruck p. V. keine praktischen Konse-
quenzen. Es kann daher auch davon abgesehen werden, die einzelnen Strafvor-
schriften, die mit diesem Wort etwa zusammengefaßt werden könnten, aufzuzählen.
Lit.: Vgl. die hinter d. Art. Hochverrath, Landesverrath, Majestätsbeleidigung
angeführte Lit. John.
v. Holtzendorff, Enc. II. Rechtslexikon III. 3. Aufl. 5