Staatsanwaltschaft. 743
kann. In England und Schottland ist die Strafverfolgung Rechts= und Partei-
sache einer öffentlichen Behörde, ersteres insofern die Anklagebehörde einzuschreiten
verpflichtet ist; letzteres insofern, als Privatpersonen subsidiär bei unterlassener An-
klageerhebung eintreten können und überdies der öffentliche Ankläger an den Begriff
der Parteistellung prozessualisch gebunden bleibt. Die Deutsche S. betreibt ihre
Thätigkeit als Strafverfolgungsbehörde nach Franz. Muster. Sie hat das sog.
Anklagemonopol und übt es lediglich als Verwaltungsfsache, indem sie, wie
andere Verwaltungsbehörden, den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit des Einschreitens
sormlos handhabt. Wenig bedeutende Korrekturen sind gegenüber dieser Möglichkeit
eines administrativ durch unterlassene Strafverfolgung geübten Begnadigungsrechts in
folgender Weise geboten: a. Die Verwaltungsbehörde kann in Fällen der
Zuwiderhandlung gegen die Vorschriften über die Erhebung öffentlicher Abgaben und
Gefälle, wenn sie einen Strafbescheid nicht erlassen und die S. den an sie gerichteten
Antrag auf Verfolgung ablehnt, ohne Weiteres selbst Anklage erheben und einen
Beamten ihres Ressorts oder einen Rechtsanwalt als ihren Vertreter bestellen
(Straf# O. § 464). b. Die Privatanklage (s. diesen Art.) in Fällen der
Körperverletzung und Beleidigung (§ 414), wobei aber der S. vorbehalten ist, in
jeder Lage der Sache bis zum Eintritt der Rechtskraft des Urtheils die Verfolgung
zu übernehmen. c. Das Recht desjenigen, der die Erhebung der öffent-
lichen Klage bei der S. beantragt hat, ohne daß demselben Folge gegeben
wurde, unter Angabe von Gründen beschieden zu werden, und in Gemäßbeit der
StrafPO. § 170 bei der vorgesetzten Behörde der S. Beschwerde zu führen und
äußersten Falles eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen, wodurch der S. die
Erhebung der öffentlichen Klage aufgegeben werden kann. In Frankreich kann nach
dem Gesetz vom 20. April 1810 durch das Plenum des Appellhofes aus eigener
Initiative (ohne Beschwerdeführung eines Antragstellers) dem ministère public die
Erhebung der action publique ausgegeben werden. d. Die Befugniß des Unter-
suchungsrichters in Gemäßheit des § 189 von Amtswegen Untersuchungshand-
lungen vorbehaltlich der späteren Verfügung der S. vorzunehmen.
Diese Bestimmungen zielen darauf ab, einer möglicherweise rechtsnachtheiligen
Unterlassung der S. Abhülfe zu gewähren. In der positiven Richtung der Straf-
verfolgung wird die S. gehemmt durch die Antragsberechtigungen gewisser Personen,
durch das Erforderniß der Ermächtigung zum Einschreiten, durch die Nothwendigkeit
einer Vorentscheidung bei der strafrechtlichen Verfolgung der Beamten wegen be-
gangener Amtsdelikte (GVG. § 11), die besonderen, den Landtagsmitgliedern gegen
Strafverfolgungen eingeräumten Vorrechte u. a. m.
5) Dispositionsbefugniß der Staatsanwaltschaft. Wo das
Anklageprinzip konsequent durchgeführt ist, kann in Ermangelung eines förmlichen
Strafantrages vom Richter eine Strafe nicht ausgesprochen werden. Das Franz.
Recht hat diesen Grundsatz, obgleich die S. unabhängig vom Richter gestellt ist,
nicht angenommen, vielmehr, der inquisitorischen Maxime folgend, die einmal bei
den Gerichten anhängig gewordenen Anklagen der Disposition des ministere public
entzogen. Der Richter ist an die Anträge der S. nicht gebunden, kann also den
Anträgen der S. entgegen strafen. Es ist unzulässig, daß die Anklage in der Haupt-
verhandlung zurückgezogen wird. Ebensowenig ist der Richter an die Beweis-
anträge der S. gebunden. Diesen Grundsätzen der Franz. S. ist auch die Deutsche
Reichsgesetzgebung gefolgt, während das Oesterr. Recht sich den Englischen Ueber-
lieferungen annähert. Die S. in Oesterreich wird von den Grundsätzen der Partei-
stellung beherrscht; sie hat Verfügung über die Streitsache. Ohne und gegen ihren
Antrag kann nicht bestraft werden; eine Auffassung, die an sich korrekt erscheint,
aber in der Praxis, wenn sie ohne Nachtheil für die Strafrechtspflege bleiben
foll! die Zulassung konkurrirender Strafverfolgungsorgane im weiteren Umfang
verlangt.