760 Staatsschatz — Staatsschulden.
zu finden ist, so lange das Verhältniß zwischen Reichs- und Landesverfassungen sich im
Fluß befindet. Nothwendiger als je war dagegen die Herstellung einer von der
Ministerverwaltung unabhängigen Jurisdiktion über die streitigen Fragen der
Auslegung der Verfassung, der Anwendung des Verwaltungsrechts, — und diese ließ
sich nur in einem sachverständigen, kollegialischen Beamtenkörper finden, während eine
Jurisdiktion durch Behörden des Selfgovernment erst von Unten herauf neu zu
schaffen war. Alle Eifersucht gegen das Berufsbeamtenthum mußte daher unter
dem einen oder anderen Namen auf eine S. bildung für die Verwaltungs-
jurisdiktion zurückkommen. Die Preußische Gesetzgebung ist seit 1875 zu einem
dem Wesen der Deutschen Gerichtsverfassung entsprechenden „Oberverwaltungsgerichts-
hof“ gelangt, der aber an die Centralverwaltung noch nicht heranreicht.
Einen bedeutungsvollen Theil der Staatsentwickelung Oesterreichs bildet
auch der dortige S., dessen Geschichte von dem Freiherrn v. Hock kurz vor seinem
Tode begonnen war. Die neueste Gesetzgebung beschränkt sich auch hier auf einen
Verwaltungsgerichtshof. Wichtig für das konstitutionelle Verhältniß des S. sind
namentlich auch die Formationen in Bayern und Württemberg, im Zusammen-
hang mit einem relativ gut entwickelten Verwaltungerecht.
Lit.: Uebersicht der Staatsrathsbildungen in allen europäischen Ländern von Brachelli
in seinem Jahrb. für Gesetztunde und Statistik, 1862, S. 170 ff. — Malchus, Politik der
inneren Verwaltung, I. §§ 18 ff.— Für England: Gneist, Engl. Verwaltungsrecht, 1866
bis 1867; I. §§ 21, 32, 37, 43; II. §§ 44—75. — Für Frankreich: Dareste, Justice ad-
ministrative, 1862. — M. Block, Dictionnaire de la politique, v. Conseil dEtat. — Für
Deutschland und vergleichendes Recht: L. v. Stein, Die Verwaltungslehre, 1869, 1. S.
177—197. — v. Rönne, Staatsrecht, Register voce S. — Cosmar u. Claproth, Der
kgl. Preuß. u. kurfürstl. Brandenburgische Peheine S., Berl. 1805. Gneist.
Staatsschatz, s. Reichskriegsschatz.
Staatsschulden. I. Begriff. (Verwaltungsschulden und Finanzschulden).
Unter S. im weiteren Sinne versteht man alle begründeten Forderungen, welche an
irgend eine Staatskasse gemacht werden. Es besteht aber ein sehr wesentlicher Unter-
schied zwischen den Schuldverbindlichkeiten der Staatsverwaltung und den S. im
eigentlichen und engeren Sinne. Man kann jene mit Laband Verwaltungs-
schulden, diese Finanzschulden nennen, oder mit v. Stein jene als Finanzkredit,
diese als Staatsschuldenwesen bezeichnen. Und zwar sind Verwaltungsschulden die-
jenigen nicht unverzüglich berichtigten Forderungen an die laufende Verwaltung,
welche im Etat vorgesehen sind, aber ihre Deckung erst in einer späteren Einnahme
finden, zu deren Bestreitung die Mittel in der Kasse augenblicklich nicht ausreichen,
die jedoch in der laufenden Finanzperiode wieder ausgeglichen werden, indem ledig-
lich etatsmäßige Ausgaben zu etatsmäßigen Einnahmen antizipirt sind. Diese Ver-
waltungsschulden bewegen sich also innerhalb der budgetmäßigen Summen und be-
zwecken nur die zweckmäßige gegenseitige Ordnung von Einnahmen und Ausgaben;
sie würden überhaupt gar nicht entstehen, wenn die Einnahmen und Ausgaben des
ganzen Jahres an einem einzigen Tage erfolgen könnten; sie entstehen aber dadurch,
daß die Einnahmen und Ausgaben sich unregelmäßig vertheilen, und zwar so, daß
ein Theil der Ausgaben früher zu leisten ist, als ein Theil der Einnahmen erhoben
wird, wie sich denn namentlich bei der Militärverwaltung herausgestellt hat, daß
ein zeitweiliger Mehrbedarf, und zwar sehr erheblich über den monatlichen Durch-
schnittsbedarf in den Wintermonaten eintritt und daß ziemlich in derselben Zeit die
Zolleinnahmen hinter dem Durchschnitt zurückbleiben. Einen ganz anderen Charakter
haben aber die Finanzschulden, die eigentlichen S. Diese haben ihren Grund nicht
in laufenden Einnahmen, sondern in den Ausgaben, sie schaffen eine fehlende Quelle
von Einnahmen, und zmar entweder in der Weise, daß die Nothwendigkeit einer
derartigen Schuld sich schon bei Feststellung des Budgets herausstellt oder erst im
Laufe des Verwaltungsjahres sich ergiebt, indem die Ausgaben den Voranschlag
überschreiten, während die Einnahmen hinter demselben zurückbleiben. Dieser Unter-