Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

762 Staatsschulden. 
Zahlung angenommen und von der Reichshauptkasse für Rechnung des Reiches jeder 
Zeit auf Erfordern gegen baares Geld eingelöst werden müssen, sowie daß im Privat- 
verkehr ein Zwang zu ihrer Annahme nicht stattfindet. 
2) Man unterscheidet ferner die verzinsliche S., je nachdem sie auf sog. Staats- 
schuldscheinen oder auf Schatzanweisungen beruht. Die Staatsschuldscheine zeichnen 
sich durch ihre Unkündbarkeit aus, die seitens des Gläubigers eine absolute ist, 
seitens des Schuldners unter gewissen Voraussetzungen zwar statthaft ist, doch so 
daß stets eine längere Dauer des Schuldverhältnisses in Aussicht genommen ist. 
Die Staatsschuldscheine werden auf jeden Inhaber lautend ausgestellt, so daß sie 
bei der Uebertragung keiner Cession bedürfen, im Gegensatz zu der Französischen Rente. 
Dagegen haben die sog. Schatzanweisungen, indem sie alle sonstigen wesentlichen 
Momente (Verzinslichkeit, auf den Inhaber lautend) mit den Staatsschuldscheinen 
gemein haben, das Eigenthümliche, daß sie von vornherein nur auf kurze Dauer be- 
messen sind, indem ihre Einlösungszeit höchstens neun Monate beträgt; sie werden 
in Abschnitten von verschiedenen Beträgen ausgegeben, und es bleibt der Finanz- 
verwaltung überlassen, den Zinssatz, sowie die Dauer der Umlaufszeit innerhalb der 
gesetzlich zulässigen Grenzen den Verhältnissen entsprechend festzusetzen; eine genauere 
Beschreibung der Form der Schatzanweisungen findet sich z. B. als Anlage zu der 
Bekanntmachung des Kanzlers des Norddeutschen Bundes vom 19. Juli 1868 (in 
Hirth's Annalen, Jahrg. 1869, S. 299). Ihre Anwendung empfiehlt sich 
namentlich dann, wenn zwar an sich die Nothwendigkeit einer eigentlichen Finanz- 
schuld vorliegt, aber zugleich die Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, daß diese in nicht 
zu langer Zeit durch vermehrte Einnahmen abgetragen werden kann, indem es in 
solchem Falle unzweckmäßig sein würde, den zeitweiligen Bedarf durch eine erst in. 
entfernter Zukunft zu amortifirende Anleihe zu decken. Dabei ist es keineswegs 
nothwendig, daß die Schatzanweisungen beim Ablauf der ersten Umlaufszeit gänzlich 
getilgt werden, wenn nur in Ermangelung derartiger parater Mittel die Ermächtigung 
zur Ausgabe neuer Schatzanweisungen an Stelle der eingelösten alten gegeben ist. 
Man hat sich dieser Form der Beschaffung von Staatsanleihen zum ersten Male 
auf Grund des Preuß. Gesetzes vom 28. Septbr. 1866, betr. den außerordentlichen 
Geldbedarf der Militär= und Marineverwaltung, bedient; seitdem finden sie sich in 
jedem Etatsgesetze erwähnt, indem dem Finanzminister immer von Neuem die Be- 
fugniß ertheilt wird, an Stelle der im Laufe des Etatsjahres einzulösenden alten 
Schatzanweisungen neue bis zu bestimmtem Betrage auszugeben, wie z. B. das 
Gesetz vom 26. Februar 1874, betreffend die Feststellung des Staatshaushalts pro 
1874, anordnet, daß in diesem Jahre Schatzanweisungen bis zur Höhe von 10 
Millionen, welche vor dem 1. Oktober 1875 verfallen müssen, wiederholt ausgegeben 
werden können, und daß die auf Grund des vorjährigen Etatsgesetzes vom 24. März 
1873 ausgegebenen Schatzanweisungen bei eintretender Fälligkeit einzulösen sind. 
Aber auch die Finanzpraxis des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches 
hat von den Schatzanweisungen den umfassendsten Gebrauch gemacht; insbesondere 
bestimmt das Gesetz vom 5. Juli 1873, betr. die Feststellung des Haushaltsetats 
des Deutschen Reiches für das Jahr 1874, daß der Reichskanzler ermächtigt wird, 
zur vorübergehenden Verstärkung des ordentlichen Betriebsfonds der Reichshauptkasse 
nach Bedarf, jedoch nicht über den Betrag von 8 Millionen hinaus, und behufs 
Beschaffung eines Betriebsfonds zur Durchführung der Münzreform bis zum Betrage 
von 50 Millionen Schatzanweisungen auszugeben, mit der Maßgabe, daß dem 
Reichskanzler die Bestimmung des Zinssatzes und die Dauer der Umlaufsszeit, die 
jedoch den 30. Juni 1875 nicht überschreiten darf, überlassen wird, und daß auch 
der Betrag der Schatzanweisungen wiederholt, jedoch nur zur Deckung der in Ver- 
kehr gesetzten, innerhalb dieses Zeitraums ausgegeben werden darf; selbst die Be- 
schaffung der für die Zwecke der Marine ausgenommenen Anleihe des Norddeutschen 
Bundes, sowie ein Theil der Kriegsanleihen ist auf diesem Wege erfolgt.
	        
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