Städtereinigung. 771
Karbolsäure und ähnlichen Stoffen zur Verwendung gelangten. Alle diese zum Theil
recht kostspielige Prozeduren haben nicht zu dem gewünschten Ziele geführt, und die
Etablirung solcher größerer Sammelbassins mit gährendem Schmutzwasser hat sich
überall als eine für die Nachbarschaft sehr unliebsame, unter Umständen sanitär
bedenkliche Anlage herausgestellt. Da man andererseits die besten Erfahrungsgründe
hatte, an dem Prinzipe einer raschen Entfernung aller Auswurfstoffe und
besonders der Fäkalien auf nassem Wege aus den Wohnungen und aus dem Stadt-
bereiche heraus festzuhalten, so bemühte man sich nun, das Kanalwasser mitsammt
seinen festen Stoffen unmittelbar der Erdrinde in einer fruchtbringenden Weise zu über-
mitteln, indem man größere aufnahmefähige Bodenflächen damit berieselte. Solche
Berieselungsanlagen sind zuerst in England (Edinburgh, Croydon, Alder-
shot 2c.), dann in Paris, Danzig und Berlin mit meist sehr günstigem Erfolge aus-
geführt worden. Die dabei noch hin und wieder zu Tage getretenen Uebelstände
(stellenweise Versumpfung der berieselten Terrains) sind, wie die Erfahrung gelehrt,
durch sorgfältigere vorgängige Drainirung und durch richtigere Anpassung der Terrain-
größe zur Menge des aufzunehmenden Riefelwassers überall vermeidbar. Unter
allen bis jetzt bekannten Verfahren der S. bildet daher eine methodische Durch-
schwemmung der Häuser, Höfe, Straßen und Plätze mittels reichlicher Wasserzufuhr
und eine Berieselung nahe gelegener Bodenflächen mit dem hingeleiteten Kanalwasser
das nach allen Richtungen rationellste, welches überall da den Vorzug verdient und
daher auch z. B. von der höchsten Preußischen Sanitätsbehörde überall da empfohlen
wird, wo die örtlichen Verhältnisse die Ausführung irgendwie möglich machen.
Ein mit dem Schwemmkanalsystem verbundener sehr hoher sanitärer Vorzug,
welchen keines der übrigen Reinigungssysteme in gleicher Weise bietet, liegt in der
leichten Anbringung von Wasserverschlüssen in den Wohnungen, durch welche der
Rücktritt von Gasen und Fäulnißprodukten aus den Sammel= und Leitungsappa-
raten in die Wohnräume mit Scherheit verhütet werden kann. —
Die S. ist eine Aufgabe, für deren richtige Erfüllung nicht blos die städtische,
sondern auch die staatliche Verwaltung, — und zwar im weiteren Sinne als be-
züglich der bloßen örtlichen Sanitätsaufsicht, — verantwortlich ist, da bei derselben
nicht blos die Interessen jedes einzelnen städtischen Gemeinwesens, sondern auch die-
jenigen der benachbarten Gemeinden und besonders aller flußabwärts gelegenen Ort-
schaften in Betracht kommen. Namentlich ist dies in solchen Flußgegenden der Fall,
deren Bevölkerung noch ihr Genuß= und Wirthschaftswasser dem Flusse unmittelbar
zu entnehmen genöthigt ist. Eine solche Bevölkerung hat berechtigten Anspruch darauf,
daß ihr die gewohnte Bezugsquelle des unentbehrlichsten aller Lebensmittel nicht
infizirt werde, und der Staat hat die Anerkennung dieses Rechtes gegen etwaige
Uebergriffe städtischer Verwaltungen geltend zu machen. Die Frage, unter welchen
Umständen und unter welchen Vorbehalten in jedem Einzelfalle die Hineinleitung
städtischer Abfallwässer in öffentliche Wasserläufe zu gestatten sei, hat bis jetzt in
Deutschland keine allgemeingültige Beantwortung gefunden, und es bleibt daher
Aufgabe der staatlichen Aufsichtsbehörde, jeden einzelnen zweifelhaften Fall mit
Hülfe ihrer technischen Beiräthe zu prüfen und für sich zu entscheiden. Um bezüglich
der hierbei zu Grunde zu legenden allgemeinen Prinzipien zu größerer wissenschaft-
licher Klarheit zu gelangen und um eine größere Gleichmäßigkeit des Verfahrens,
namentlich auch zwischen den Uferstaaten eines und desselben Stromes, z. B. der
Elbe oder des Nheines herbeizuführen, wird von sachverständigen Stimmen allgemein
das Bedürfniß betont, daß über den Zustand der verunreinigten Flüsse
in Deutschland und über die sanitären wie wirthschaftlichen Folgen dieser Ver-
unreinigungen eine umfassende technische Untersuchung angestellt werde, je
nach deren Ergebnisse dann eine reichsgesetzliche Regelung dieser wichtigen
Frage ähnlich wie in England stattfinden möge.
49