Steuerverweigerung. 795
führung seiner gesetzlichen Institutionen ist die oberste Pflicht der Diener der Krone.
Die Vertheilung und Verwendung der Staatsgelder dafür ist Mittel zum Zweck,
Sache der Ausführung, d. h. der Verwaltung, die in England altherkömmlich durch
königliche Ordres an das Schatzamt geregelt wurde (wie noch heute). Zur über-
sichtlichen Ordnung dieser Geldverwendungen pflegte seit den Zeiten der Tudors der
Schatzkanzler häufig ein Etatsentwurf vorzulegen, der vom König durch eine General-
ordre genehmigt wurde. Im 18. Jahrhundert erst wird es üblich, daß die Minister
vor Erlaß dieser Generalordre sich mit dem Parlament verständigen und dessen Zu-
stimmung einholen. Eine Zeit lang herrscht dabei noch eine wechselnde Praxis, so
daß in einzelnen Jahren jene Verständigung unterbleibt. Erst in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts ist aus der gewöhnlichen Praxis eine feste Regel gewoßzen.
Unverändert dagegen ist das rechtliche Verhältniß geblieben, einer Ausführungs-
norm für die Ministerverwaltung. Wie im Fall des Widerspruches die Verordnung
dem Gesetz, die Ausführungsnorm dem organischen Gesetz nachsteht, so gilt dies auch
im Fall des Widerspruchs zwischen dem Geldbeschluß und dem Gesetz. Hätte das
Parlament je einmal Richtergehalte, Zinsen der Staatsschulden, Gehalte der Ge-
sandten und andere gesetzlich feststehende Ausgaben verweigert: so würde eine Mi-
nisteranklage nicht wegen der Leistung, sondern wegen der Unterlassung solcher
Ausgaben zu erheben gewesen sein! Die Autoritäten des Englischen Staatsrechts,
namentlich Hatsell's Precedents erörtern daher diese Frage überhaupt nicht
direkt, weil ihre Entscheidung sich aus den Grundsätzen von
Gesetz und Ausführungsnorm selbstverständlich ergiebt. Die Ver-
weigerung des gesammten Jahresbudgets würde deshalb rechtlich ein actus inanis
sein, den ein Englisches Parlament niemals versucht oder auch nur emnstlich an-
gedroht hat.
Es ist erklärlich, wie diese Maximen einer konsolidirten Staats= und Gesell-
schaftsordnung in der Französischen Sturm= und Drangperiode nicht unbefangen
gewürdigt werden konnten. Auch bei dem Dynastiewechsel von 1814 und 1830
behielt sich die Gesellschaft eine Neubewilligung aller Staatseinnahmen an die
neueingesetzte Regierung vor. Denselben Verlauf nahm das Budgetrecht bei Ein-
setzung der neuen Dynastie in Belgien. Ebenso wußte diese Richtung nicht leicht
ein Maß zu finden in der Spezialisirung der Ausgabetitel; jedes Mehr darin galt
als eine noch korrektere „konstitutionelle Maxime“. Die Versagung der Geldbewil-
ligung für gesetzlich bestehende Einrichtungen ist jedoch auch in Frankreich kaum
jemals vorgekommen. (Vgl. die Nachweisungen in Gneist, Gesetz und Budget.)
Auch Deutschland wird sich von jener angeblich konstitutionellen Tradition
losmachen, je mehr unsere parlamentarischen Versammlungen nach praktischer Er-
fahrung ihre Bedeutung unbefangener würdigen. Es war entschuldbar, wenn die
herrschende Meinung in den Stimmungen von 1848 es als einen selbstverständ-
lichen Anspruch der „gemäßigt konstitutionellen“ Partei ansah, daß die Krone die
althergebrachten Einkünfte der Domänen, Forsten und Regalien, sämmtliche Erträge
der gesetzmäßigen indirekten und direkten Steuern sich fortan von Jahr zu Jahr
„bewilligen“ lassen müsse. In Preußen vermochte die octroyirte Verfassung vom
Dezember 1848 dagegen nur die Reservation durchzusetzen, daß (bis zum Erlaß
einer revidirten Verfassung) die bestehenden Steuern forterhoben werden. Bei
Revision der Verfassung änderte sich der Sinn dieses Vorbehalts durch veränderte
Stellung dahin, daß das gesetzliche Steuerrecht bis zur Aenderung durch Gesetze
fortdauern soll. Das Rechtsbewußtsein der Nation wird sich in dem neuen Deutschen
Staat wol klarer darüber werden, daß die Deutsche Verfassung nicht auf dem
Boden der gesellschaftlichen Revolution und des Dynastiewechsels steht, um dem Staat
die Zumuthung einer jährlichen Bewilligung seiner gesetzmäßigen Einnahmen zu
machen, — ein Anspruch, welchen die Engländer auch nach zwei Revolutionen nicht
erhoben haben. Die in kurzen Zwischenräumen unabänderlich wiederkehrende Noth-