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18. Jahrh. an bis auf unsere Zeit daran gewöhnt, in der v. m. einfach „ein un-
abwendbares Naturereigniß oder einen fremden unwiderstehlichen Gewaltakt“ zu er-
blicken. Erst Goldschmidt ist (1860) dem Begriff v. m. näher getreten und hat
versucht, denselben in seiner besonderen Beziehung zum receptum nautarum zu kon-
struiren: nach ihm ist der Begriff v. m. nur im engen Zusammenhang mit der
unbedingten Haftung faßbar; als v. m. ist danach anzusehen: jedes vom Ueber-
nehmenden nicht selbst verschuldete Ereigniß, welches weder in einer Handlung der
Bediensteten oder der Passagiere desselben, noch in einem furtum oder damnum, das
von dritten Personen ausgeht, besteht; dabei ist jedoch nach Goldschmidt noch
zu bemerken, daß der Uebernehmende zwar für die durch seine Bediensteten und
Passagiere begangenen furta und damna unbedingt zu haften, jedoch sofern die Hand-
lungen anderer Personen in Frage kommen, über den Umfang der daraus abzuleitenden
Verantwortung des Uebernehmers das vom Grundgedanken des receptum nautarum
geleitete vernünftige Ermessen des Richters zu entscheiden habe. An der Gold-
schmidt'schen Theorie ist unzweifelhaft mindestens der Ausgangspunkt richtig;
dieser ist auch von der späteren Theorie festgehalten worden und zur Erklärung der
weiteren Entwickelung des Begriffes v. m. verwerthbar. Es ist auszugehen von der
dem Uebernehmenden obliegenden Haftung; diese besteht hier in einer über die
Pflichten eines ordentlichen Mannes hinausgehende, spezielle Beaufsichtigung und
Bewachung; der Uebernehmende haftet aber unbedingt für Schaden, welcher von
seinen Dienstleuten oder Gästen oder auch dritten Personen durch furtum oder Sach-
beschädigung herbeigeführt wurde, „vorausgesetzt, daß die Entwendung oder Be-
schädigung nicht mit einer Gewalt ausgeführt worden ist, welche sich auch durch
eine spezielle Beaufsichtigung nicht würde haben abwenden lassen“ (so Wind-
scheid, a. a. O. S. 444 Anm. 6).
Weit über den Umfang des receptum nautarum hinaus ist der Begriff v. m.
in Anwendung gebracht worden im Französischen Civilrecht und im Deutschen und
auswärtigen H. R. (Ueber das receptum nautarum in den Seerechten, durch welche
vielleicht der Uebergang der v. m. zum heutigen Recht, jedoch nicht ohne Inkon-
sequenz, vermittelt wurde, s. Goldschmidt, a. a. O. S. 342 ff.) Allerorten,
wo heutzutage in Gesetzen der Begriff v. m. — höhere Gewalt — (force
majeure — gebraucht wird, ist er zur Bezeichnung der äußeren Grenze einer
Haftung, die Jemand zu übernehmen hat, gebraucht; die Haftung ist durchweg eine
besonders verschärfte custodia (vgl. Windscheid, a. a. O.); überall wird
dabei angenommen, der Haftungsübernehmer habe eine ganz besondere, über die
Pflichten eines ordentlichen Mannes weit hinausragende Achtsamkeit ausdrücklich oder
durch die Sachübernahme thatsächlich versprochen; zur Entlastung des Uebernehmers
ist jedoch die Behauptung zu hören, daß auch die in concreto überhaupt mögliche
Sorgfalt, Umsicht und Vorsicht nicht im Stande sein konnte, den Schaden abzuhalten
oder abzuwenden; diese Behauptung ist ebensowol die Behauptung der vollen Er-
füllung der übernommenen Verpflichtung, wie eine Negation des Kaufalzusammen-
hangs zwischen dem Kommissiv= und Omissiv-Thun des Haftenden einerseits und
dem eingetretenen Schaden andererseits; sie muß in jedem Falle entlastend wirken,
so oft sie sich auf solche Umstände oder Ereignisse stützt, von denen der durch die
Haftpflicht Berechtigte selbst annehmen mußte, daß in Bezug auf sie der Haftende
vernünftigem Ermessen nach keine Verpflichtung übernehmen kann. Es ist unmöglich,
speziell zu sagen, welche Ereignisse, losgelöst von den Einzelheiten des einzelnen Falles,
unter allen Umständen als „höhere Gewalt“ anzusehen; denn, wie Thöl a. a. O.
S. 40 Anm. 5 richtig hervorhebt, selbst die Wirkung eines Erdbebens kann unter
Umständen als vermeidlich angesehen werden. Ebenso ist es unmöglich, allgemein
die Maßregeln vorauszubestimmen, welche zur Erfüllung der obliegenden Pflicht der
Achtsamkeit genügen, oder im Verhältniß zu der gewerblichen Leistung und dem Ge-
winne des Haftenden stehen. Man wird als v. m. ansehen müssen jeden Unfall,