Zurechnungsfähigkeit. 1465
Rechnet man noch dazu Fälle, wo Wahnsinnige und Verrückte aus nicht erkannten
firen Wahnvorstellungen beständig dieselbe Handlung wiederholten, so hat man das
ganze Material beisammen, das zur Irrlehre der Monomanien Anlaß gab.
Die oben erwähnten Zustände von maniakalischer Exaltation verlaufen theils
als selbständige Form, vielfach in periodischem Typus, theils bilden sie das Initial-
stadium der Tobsucht, theils interkurrente Aufregungszustände im Verlauf der Pa-
ralyse und der Hysterie. ·
Der Vergleich mit der früheren Persönlichkeit, der beschleunigte, abspringende,
unvermittelte Ideengang, die Schlaflosigkeit, die äußerlich unmotivirte zeitweise Zu-
oder Abnahme der Unruhe, die Unmotivirtheit, Planlosigkeit, Rücksichtslosigkeit des.
Thuns und Treibens derartiger Kranker, die dem gesunden Leben ganz fremden
Strebungen und Handlungen werden das Krankhafte des Zustandes trotz allen Ver-
nünftigredens herausfinden lassen.
Die Handlungen solcher Kranken sind unfrei, weil theils die natürlichen Triebe
und sinnlichen Bedürfnisse eine pathologische Stärke besitzen, theils ein zu beschleu-
nigter Vorstellungsprozeß ein ruhiges Besinnen und Ueberlegen unmöglich macht,
theils ähnlich wie im analogen Zustand der Berauschung sittliche, rechtliche, korri-
girende Vorstellungen nicht zum Bewußtsein oder wenigstens nicht zur Geltung
kommen. Verletzungen der Sittlichkeit, Diebstahl, Vagabondiren, Raufhändel, Be-
schädigung von fremdem Eigenthum sind die häufigsten Verletzungen des Rechts von
Seiten solcher Kranken.
Die Manie kann als kontinuirliche und periodische Form verlaufen, in letzterem
Fall die einzelnen Anfälle durch monate= bis jahrelange Intervalle geschieden. Man
spricht dann von luciden Intervallen, die überhaupt bei allen primären FIrreseins-
sormen vorkommen können. In der Regel besteht hier aber nur eine temporäre
Latenz der äußeren Symptome der Krankheit und keineswegs ein Zustand völliger
geistiger Klarheit und Freiheit. Die Annahme von luc. int. im Kriminalforum
ist kaum haltbar. Bei man. period. sind in der intervallären Zeit fast ausnahms-
los Gemüthsreizbarkeit, Gedächtnißschwäche und Beschränkung der intellektuellen
Funktionen nachzuweisen.
Es giebt endlich ganz akute, binnen ½—6 Stunden verlaufende Anfälle von
Tobsucht (mania transitoria), die in der Regel mit heftiger Kopfkongestion einher-
gehen, bei jugendlichen Individuen durch heftige Gemüthsbewegungen, große Hitze,
Uebergenuß von Alkohol, zuweilen auch bei Gebärenden eintreten, in der Regel nur
einmal sich einstellen, ausnahmslos mit einem tiefen Schlaf abschließen und völlige
Aufhebung der Erinnerung für die ganze Zeitdauer des Anfalls hinterlassen.
3) Wahnsinn und Verrücktheit. Sie entstehen primär aus fieberhaften
Krankheiten oder auf Grund erblich degenerativer Anlage oder auch aus melancho-
lischen oder manischen Zuständen. Es bestehen hier fixe Wahnvorstellungen und.
Sinnestäuschungen, die Persönlichkeit ist in eine krankhafte verwandelt oder wenigstens
die Beziehungen zur Außenwelt sind total verändert. Damit ist jede Zurechnung
aufgehoben. Die Handlungen sind durch Wahnideen und Sinnestäuschungen bedingt.
Der pspychologische Unterschied zwischen Wahnsinn und Verrücktheit wurde oben
hervorgehoben. Je nach der Selbstempfindung kann man einen melancholischen
und einen expansiven unterscheiden. Die praktisch wichtigste Varietät des ersteren
ist der Verfolgungswahnsinn. An ihm Leidende sind sehr gemeingefährlich.
Sie ermorden ihre vermuthlichen Feinde, von denen sie sich auf Grund von an-
klagenden Stimmen verfolgt, beschimpft oder mittels wahnhafter Maschinen, mit
Gift oder sonstwie am Leben bedroht glauben. Hierher gehört auch der Wahn
ehelicher Untreue, der zu Mord des Ehegatten führen kann, ferner der Ouerulanten-
wahnsinn, wobei der Kranke in irgend einem Prozeß sich Unrecht gethan wähnt,
Richter, Geschworene, ja selbst das Staatsoberhaupt der Parteilichkeit beschuldigt,
beständig um sein wahnhaftes Recht querulirt und da ihm dies versagt wird,