Generaldebatte. Lasker. 169
Nach den Konstellationen, welche nicht blos in diesem Reichstage, son-
dem im gesammten Deutschland vorherrschen, muß ich die Möglichkeit ins
Tuge ziehen, daß die Verfassung so zu Stande kommt, wie sie in den Ver-
trägen uns vorgelegt ist, trotz der Versuche, welche wir machen werden, um
in einzelnen Punkten ein richtigeres Verhältniß herbeizuführen. Ich empfinde
die Rücksicht und will sie nicht verletzen, welche mir dadurch auferlegt wird,
daß wir möglicherweise schon in nächster Zukunft unter der Herrschaft dieser
Verfassung leben werden. Diesem hochbedeutenden Umstand gegenüber würde
mir nicht geziemen, lediglich eine solche Kritik zu üben, welche vielleicht der
den mir vertretenen Ansicht in dieser Verhandlung die günstigste sein möchte.
Ich will nicht die Mängel allein in den Vordergrund stellen, nicht die Vor-
züge allein der Betrachtung unterziehen, sondern mit der größten Treue, was
uns durch diese Verfassung gewährt wird und was uns in diesen Verfassungen
rersagt bleibt, objektiv darstellen, damit in Folge nicht zu wenig gewonnen
zu sein scheine, wo wir Wahrhaftes und Reales gewonnen haben; damit
aber auch bei den Verhandlungen, welche zwischen heute und der Schluß-
lesung stattfinden, die Regierungen nicht sich gegenüber eine Opposition im
gewöhnlichen Sinne erblicken, sondern einträchtig mit uns zusammenwirken,
um wirkliche Uebelstände, soweit noch möglich, zu entfernen, damit die Re-
gierungen gemeinsam mit uns das letzte Stadium der Verhandlungen be-
nutzen, um dem deutschen Volke in den Punkten, in welchen ihm das jetzt
schen gebührende Recht vorenthalten wird, dieses Recht zu geben. Ich denke
dabei nicht an Reformen, welche als Verbesserungen in die gegenwärtige
Verfassung des Norddeutschen Bundes hineingetragen werden sollen, wie etwa
Gundrechte und andere gleich erstrebenswerthe Reformen. Ich erkläre mich
auch in diesem Punkte schuldig der Ansicht, daß heute nicht der Zeitpunkt
ist, zu verhandeln über solche Verbesserungen, sondern daß es genügt, eine
Verfassung herzustellen, welche derartige Verbesserungen herbeiführen kann.
Ich werde mich auf den Inhalt des Vertrages, auf seine Vorzüge und
Mängel beschränken. Und so muß ich denn mit der Ehrlichkeit, die mich
wingt, nichts in diesen Dingen zu verschweigen, nach einer Richtung hin
bekennen, daß in der Presse gegenwärtig, wie auch sonst ich in Gesprächen
wahrgenommen habe, es zum Theil dem baierischen Vertrage so ergeht, wie
es der Norddeutschen Bundesverfassung ergangen ist, als man sie zuerst las.
(Sehr richtig!) Wie Viele, welche jetzt vollkommen zustimmen, daß die Nord-
deutsche Verfassung sehr gut geworden sei, meinten damals, das sei gar keine
Verfassung, weil gewohnte Verfassungsvorschriften gänzlich fehlten und andere
Dinge vorkamen, welche in eine Verfassung gar nicht hinein gehörten; ich
verweise auf den Einpfennigtarif, auf den Transport von Kartoffcln, was
wir bis dahin in deutschen Verfassungen noch niemals gelesen hatten, und
auf riele andere Punkte, welche aus der weisen Fürsorge preußischer Bureaus
entsprungen waren. Aehnliches lasse ich vom baierischen Vertrage gelten.
Auf die Gefahr hin, daß die Inftanz, welche in Baiern noch zu entscheiden