186 1870. Verträge.
es gar keinem Zweifel, daß diejenigen Freibeiten, deren sich heute, mit Aus-
nahme etwa von Mecklenburg und Preußen, der weitaus größte Theil der
deutschen Staaten in Bezug auf Presse und Vereinswesen zu erfreuen bat,
keineewegs enva bei der künftigen (Gesetzgebung über Preß= und Vereins-
wesen auch im Deutschen Bunde Geltung erlangen werden. Betrachten wir
uns diese Gesetzgebung etwas näher, dann finden wir, daß in allen übrigen
deutschen Staaten, in den so übel berufenen Kleinstaaten, namentlich in den
Thüringischen Staaten, in Süddeutschland, Würtemberg, Baden, ja selbst
in Hessen unter der Herrschaft des Herrn von Dalwigk ein Vereinsgesetz
eristirt, so freisinnig, wie es in Preußen wahrscheinlich nie und nimmer mög-
lich wäre: von polizeilicher Ueberwackung der Versammlungen, von Anmel-
dung bei der Behörde ist nie und nirgends die Rede, man kann in der
frciesten und ungehindertsten Weise in den Versammlungen Staatsgesetze und
Staatseinrichtungen kritisiren, chne daß man das überwachende Auge und
Obr der Polizeibeamten zu fürchten habe. Ganz so wie mit dem Vereins-
gesetz verhält es sich mit dem Preßgesetz in den kleinen Staaten. Kautionen
eristiren wohl in keinem einzigen der genaunten Staaten mehr, und in ver-
schiedenen ist die Beurtheilung der Preßrergehen den Geschworenengerichten
überwiesen. Meine Herren, Niemand wird glauben, daß derartige Bestim-
mungen im Deutschen Reichstage gegenüber der preußischen Regierung durch-
zusetzen möglich wäre. Ich glaube im Gegemheil, daß gerade diese Bestim-
mung aufgenommen worden ist, und mehr als es bisher möglich und der
Fall war, die öffentliche Meinung, die sich ja in vieler Beziehung in den
Kleinstaaten Preußen gegenüber sehr feindselig bewiesen hat, zu knebeln und
zu unterdrücken, und was ich meist gehört habe, daß nämlich es gerade
Würtemberg sei, welches diese Bestimmung in die neue Verfassung aufzu-
nehmen verlangt hat, bestätigt mich in dieser Auffassung. In Würtemberg
hat in Beziehung auf das Preß= und Vereinswesen bis jetzt nahezu absolute
Freiheit eristirt, eine Freiheit, die der würtembergischen Regicrung allerdings
in den letzten Jahren schon oft unbequem geworden ist; sie getraute sich aber
nicht, der oppofitionellen Stimmung im Lande gegenüber mit reaktionären
Gesetzen und Maßregeln vorzugehen. Nichts natürlicher also, als daß siec
jetzt den sogenanten neuen Deutschen Bund als eine Gelegenheit betrachtet,
um Das durchzusetzen, was ihren inneren Wünschen entspricht. Und bei der
Stimmung, die in den übrigen Regierungskreisen Deutschlands und vorzugs-
weise bei der preußischen Regierung in Bezug auf die Freiheit des Volkes
vorhanden ist, unterliegt es keinem Zweifel, daß man mit beiden Händen
einen solchen Antrag aufgegriffen und ihm die Zustimmung gegeben hat und
dafür sorgen wird, daß die geheimen Wünsche in vollem Maße erfüllt werden.
Also, meine Herren, in freiheitlicher Beziehung sehe ich keineswegs Vortheile,
welche uns mit der Bundesverfassung überwiesen worden sind. Aber auch
nach jeder anderen Seite hin scheinen mir die Erwartungen, die das deutsche
Volk an die Erfolge dieses Krieges geknüpft hat, auf das Bitterste enttäuscht