Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Bluntschli. 397 
übrigens nothwendig, um den spröden Stoff, um den harten Stoff auch des 
süddeutschen Partikularismus, wie er in manchen Kreisen und Staaten ge- 
schichtlich überliefert war, flüssig zu machen. Nur bei einem so großen 
nationalen Feuer konnte die deutsche Einigung, konnte die deutsche Verfassung 
bergestellt werden, wie wir sie gegenwärtig haben oder auf dem Wege sind 
sie zu bekommen. Wir haben, durchlauchtigste, hochgeehrteste Herren, schon 
früber unsern wohl überlegten Entschluß ausgesprochen, bei der ersten Ge- 
legenheit in diese Verfassung einzutreten, wie sie zunächst im Norddeutschen 
Bund gegeben ist, obwohl wir niemals diese Verfassung discutirt haben, obwohl 
wir uns recht wohl bewußt waren, daß wir nichts daran machen, daran nichts än- 
den auch nichts verbessern können vorderhand, daß wir sie einfach nehmen müssen, 
wie sie ist, und ich denke, daß wir auch beute die Verfassung nicht discutiren; es 
wäre das ein ganz unfruchtbares Unternehmen. Aber es sei doch vergönnt, wenig- 
stens soweit dieser Verfassung zu gedenken, als, ich möchte sagen, es die Würde des 
Mements erheischt und die Rücksicht auf die öffentliche Meinung. Ich möchte 
rerzugsweise nur einige Wirkungen dieser Verfassung auf unsere Verhält- 
nisse hervorheben: Die Verfassung selbst ist bekanntermaßen der Hauptsache 
nach — im Einzelnen hat sie wohl auch Verbesserungen erfahren durch den 
Reichstag — aber der Hauptsache nach ist diese Verfassung offenbar das 
Werk eines genialen Staatsmannes, des Grafen Bismarck. Es wäre leicht, 
dieses Werk der Kritik zu unterwerfen. Es ist wahr, diese Verfassung ist 
nicht wie viele andere, eine systematisch korrektes Werk, sie ist vielmehr ein 
Compromiß von ganz verschiedenen Systemen. Ja noch mehr, die Ver- 
fassung macht nicht einmal bei näherer Erwägung den Eindruck eines har- 
monischen Organismus; sie ist vielmehr ein Compromiß von verschiedenen 
organischen Schöpfungen, von verschiedenen organischen Gebilden; es ist etwas 
daran von einem ziemlich losen Staatenbund, etwas daran von einer Nach- 
büdung bundesstaatlicher Verfassung, sodann wieder von einer Einheit, wie 
sie ein Reich und sogar ein Einzelstaat hat. Aus all' dem ist sie in höchst 
eigenthümlicher Weise zusammen gebildet, ich möchte sagen, zusammengeschmie- 
det. Nur Ein Gedanke geht durch: es ist der Gedanke, die gegebenen 
walen Momente trotz aller ihrer disparaten Tendenzen zusammenzufassen zu 
einer in sich festen, kräftigen Einheit. Die Verfassung ist in sofern bei 
Beitem weniger Werk des Gedankens als Werk des eisernen Willens. Daß 
sie aber trotzdem lebensfähig sei, — und darauf kommt es an —, dat hat sie be- 
reits bewiesen, denn in der kurzen Zeit ihres Bestandes ist sie erheblich ge- 
wachsen, und wo Wachsthum ist, da ist Leben. Gewiß ist sie noch in vielen 
Stücken der Verbesserung bedürftig, aber auch fähig, und wir dürfen dem 
guten Geist der Nation wohl vertrauen, daß mit der Zeit auch diese wei- 
lere Entwickelung sich friedlich vollziehen werde. Die Wirkungen dieser Ver- 
fassung für uns sind doppelte, einmal im großen Ganzen, in das wir nun ein- 
treten, und dann mit Bezug auf die besonderen Verhältnisse unseres Landes. 
Was die Wirkungen im Großen und Ganzen betrifft, so scheint mir das Erste
	        
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