432 Hessen. Verhandlungen der zweiten Kammer.
ich es Ihnen und namentlich mir selbst schuldig zu sein, die Gründe hierfür
in aller Kürze darzulegen. Ich huldige wahrlich keinem engherzigen Parti-
cularismus, der rücksichtslos das Sonderinteresse über das allgemeine deutsche
Interesse setzen möchte; ich habe im Gegentheil, so oft ich dazu Gelegenheit
hatte und so weit es in meinen Kräften stand, stets die Ansicht vertreten,
daß die einzelnen Staaten von ihrer Particular-Souveränität alles Das
opfern möchten, was für die Machtstellung Deutschlands nach Außen und
für seine gedeihliche Entwickelung im Junern nöthig erscheint. Es kann mir
daher auch nicht in den Sinn kommen, mich gegen die Schöpfung eines
neuen nationalen Bandes an und fir sich zu erklären; im Gegentheil habe
ich mit Sehnsucht dem Tage entgegengeharrt, an welchem ein nationales
Band alle Stämme unseres großen Vaterlandes von Neuem verbinden würde.
Aber selbstverständlich kann mich nicht jede Verfassung befriedigen, sondern
nur eine solche, von der ich mir Segen bringende Wirkungen versprechen
kann. Ich bin Födcralist, ein Gegner des Unitarismus und des Centrali=
sations-Systems, das ich überhaupt und namentlich für unser deutsches Vater-
land für verderblich halte. Gerade nach dieser Richtung hin befriedigt mich
aber die Norddeutsche und auch die nur wenig geänderte Reichsverfassung
keineswegs. Ich finde, daß diese Verfassung in der Beschränkung der Selbst-
ständigkeit der Einzelstaaten, namentlich auch in Bezug auf die rein finan-
zielle Verwaltung des Militärwesens, über das Maß des Erforderlichen
weit hinausgreift. Ich erkenne darin einen Zug nach dem reinen Ein-
heitsstaate, der mir für die Zukunft die ernstesten Beforgnisse einflößt.
Der stramme Einheitsstaat gewährt meines Grachtens nicht einmal eine
sichere Bürgschaft für die Macht nach Außen, wie viel weniger für die ge-
deihliche innere Entwickelung. Meine Herren, schauen Sie nach Fraukreich.
Frankreich ist gewiß das centralisirteste Land Europas, selbst Rußland nicht
ausgenommen, und nichtsdestoweniger hat Deutschland, das staatlich nicht
einheitliche, an Reichthum und Zahl der Berölkerung ihm nicht gleich-
steheude Deutschland, über jenes centralisirte Frankreich Erfolge errungen,
wte die Geschichte kaum cin zweites Veispiel kennt. Und wie sind die inne-
ren Zustände in Frankreich? Sehen Sie dort nicht eine Zerrissenheit aller
Verhältnisse, so daß man kaum weiß, wo nur die Regierung zu suchen istv
Kurz es treten uns dort Zustände entgegen, welche für jenes schwer geprüfte
Land voraussichtlich verderblichere Folgen haben werden, als die äußere Nieder-
lage und der Verlust von ein paar Prorinzen. Vergleichen Sie nun damit
Deutschland: Ueberall hat sich dort eine wahrhaft erhebende Einmüthigkeit
der Gesinnung offenbart, und ich habe die feste Ueberzeugung, daß wir die-
selbe Erscheinung jedesmal wiederfinden werden, wenn es sich um einen wahr-
haft nationalen Kampf oder um jedes andere wahrhaft nationale Unter-
nehmen handeln wird. Freilich wenn es sich einmal um einen offensiren
Eroberungskrieg handeln sollte, wenn eine Politik bloßen Ehrgeizes in Frage
stünde, dann würde es wohl anders sein, dann würde wohl nur der stramme Ein-