Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

454 Hessen. Verhandlungen der zweiten Kammer. 
Von solchen Ansichten ausgeheud, habe ich denselben Vorschlag damals ge- 
macht, der heute desiderirt worden ist. Ich habe postulirt, daß die 
Preußische Landesvertretung, wenn ein Deutsches Parlament zur Geltung 
kommern soll, so nicht fortbestehen könne; daß eine Revision der Preußischen 
Verfassung in der Richtung stattfinden müsse, daß der Schwerpunkt der 
Regierung und Verwaltung in die Provinziallandtage gelegt würde und 
nicht mehr in dem Gesammt= oder Generallandtage liege. Es sind vorhin 
von dem Herrn Abg. v. Biegeleben Bemerkungen über die Stellung ge- 
macht worden, die unter Umständen ein Bundesminister dadurch gewinnen 
könne, daß er sich gegen die Majorität des deutschen Reichstages auf die 
Majorität des Preußischen Landtages stützt. Ich halte diese Bemerkungen 
für sehr richtize. Als vor etwa 30 Jahren, als Oesterreich den deutschen 
Bund thatsächlich preisgab und sich auf sich zurückzog, die Ansicht in Deutsch- 
land die herrschende wurde, daß Preußen der Beruf zukomme, an der Spitze 
Deutschlands zu stehen, waren es zwei Gründe, die wesentlich dazu bestimmend 
schienen. Der eine Grund war der, daß man glaubte, wenn ein Deutschland 
hergestellt würde, in welchem Preußen an der Spitze stehe, daß dann auch 
der preußische Bürger mehr Deutscher werden als Preuße bleiben würde, daß 
die Prenßische sich in die Deutsche Nation versenken und vertiefen würde. 
Meine Herren, diese Erwartung ist in dem gehofften Maße nicht in Er- 
füllung gegangen. Die Beweise dafür, daß sie nicht in Erfüllung ge- 
gangen sind, liefern unter Anderem wieder die letzten Verhandlungen des 
Norddeutschen Reichstags, der ja wesentlich durch Preußen beschickt wird, 
in welchem sie überwiegend die Majorität haben. Ein anderer Erwägungs- 
grund dazu, Preußen die Führerschaft in Deutschland zuzugestehen, lag, 
außer in dem Schwergewicht der vorherrschenden Nationalität, wesent- 
lich in der Grundlage der Institutionen der Preußischen Monarchie: 
„in jener wohl abgewogenen Autonomie der acht Provinzen, so lange 
die Provinzialverfassung und Provinzialvertretung noch gepflegt wurde, 
wodurch den Verwaltungsinteressen und Rechtseigenthümlichkeiten der 
früher getrennten Stämme genügende Rechnung getragen und gleichsam 
dem Grundbau künftiger Reichseintheilung vorgearbeitet schien, wenn die 
mittleren deutschen Staaten mit diesen acht Provinzen parallel gesetzt 
würden." Wenn das vorübergehende Bedürfniß die Provinzialautonomie 
in Preußen zurückgedrängt hat, um der einheitlichen Action größeren Nach- 
druck zu sichern, so wird das nicht immer so sein. Das, meine Herren, 
find die Gründe, warum ich glaubte und glaube, daß eine Modification 
der preußischen Verfassung in der Richtung nothwendig sei, um zu be- 
wirken, daß der Schwerpunkt der preußischen Regierungs-Action mehr in 
die Provinzial-Landtage und weniger in die centrale Preußische Reichs- 
vertretung zu liegen komme. Neben einem preußischen Central-Landtage 
von solcher politischer Bedeutung, wie sich diese bisher geltend machte, 
wird ein Deutsches Parlament nimmermehr zum Athmen und Leben 
kommen können. Diese Anschauungen find schon 1848 in der National-
	        
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