Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

2. O. v. Gierke, Grundzüge des deutschen Privatrechts. 287 
oder unausgeschiedener Anteil am Gemeinschaftsgut aber wird nicht vererbt, wächst vielmehr, 
falls nicht Nachkommen an die Stelle treten, den übrigen Gemeinern (nach BGB. den anderen 
Kindern, in Ermangelung solcher dem überlebenden Ehegatten) an. Scheidet ein Kind aus 
dem Hause, so pflegt es eine Ausstattung, die es sich auf seinen Anteil anrechnen lassen muß, 
zu empfangen, behält aber sein Anrecht am Hausvermögen. Möglich ist jedoch die Abschich- 
tung eines Kindes, indem es das ihm Gebührende als Abfindung erhält. Die Abfindung be- 
zieht sich im Zweifel nur auf das vom verstorbenen Ehegatten ererbte Vermögen (verspätete 
Erbfolge). Bei der fortgesetzten Gütergemeinschaft aber gilt sie meist als Abfindung vom 
ganzen Hausvermögen und somit auch vom künftigen Nachlaß des überlebenden Ehegatten 
(verfrühte Erbfolge). Hierauf beruht die besonders im Lübecker und Hamburger Recht aus- 
gebildete Regel, nach der die abgefundenen Kinder durch die in der Gemeinschaft verbliebenen 
Kinder vom Erbe des überlebenden Ehegatten und der Geschwister ausgeschlossen werden: 
„Was in der Were verstirbt, erbt wieder an die Were.“ Hinsichtlich des Gesamtguts tritt nach 
B#B der gleiche Erfolg ein, wenn ein Kind (gegen Abfindung oder ohne solche) auf seinen An- 
teil verzichtet; denn dann wächst der erledigte Anteil wie bei erblosem Tode an. 
Beendigt wird die fortgesetzte Hausgemeinschaft durch Tod des überlebenden Ehe- 
gatten, durch seine jederzeit zulässige Aufhebungserklärung, durch gerichtliche Aufhebung auf 
Antrag eines Kindes und durch Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten. Die Aus- 
einandersetzung (Schichtung) erfolgt nach Maßgabe der zur Zeit bestehenden Rechtsverhält- 
nisse; das Gesamtgut der fortgesetzten Gütergemeinschaft wird nach Hälften zwischen dem 
Ehegatten und den Kindern geteilt. Im Falle der Wiederverheiratung lassen manche Rechte 
eine Teilung auf dem Papier mit bloßer Sicherstellung der Schichtteile der Kinder („Ausspruch') zu. 
Literatur: Oben zu § 104. Freund, Was in der Were verstirbt, erbt wieder an die Were, 1880. 
§ 112. Einkindschaft. Unter dem Namen Einkindschaft (unio prolium) begegnet seit 
dem 13. Jahrhundert besonders in gütergemeinschaftlichen Rechtsgebieten ein bei Eingehung 
einer zweiten Ehe geschlossener Vertrag, durch den die Kinder aus früherer Ehe den aus der 
neuen Ehe zu erwartenden Kindern gleichgestellt werden. Die Einkindschaft wurde in vielen 
Gesetzen (auch im Preuß. LR.) anerkannt und geregelt, von anderen Gesetzen aber abgeschafft. 
Das BGB. kennt sie nicht; ältere Einkindschaftsverträge aber sind in Kraft geblieben. Der 
Vertrag bedurfte gerichtlicher Bestätigung. Seinem rechtlichen Wesen nach ist er ein familien- 
rechtlicher Vertrag, durch den Kinder verschiedener Ehen so gestellt werden, als seien sie Kinder 
aus einer Ehe. Er begründet daher Eltern= und Kinderrecht zwischen dem Stiefvater oder 
der Stiefmutter und den vereinkindschafteten Kindern und gewährt den Stiefkindern gleiches 
Erbrecht (gesetzliches Erbrecht mit Pflichtteilsrecht) wie leiblichen Kindern; nach manchen Rechten 
erzeugt er auch elterliches, vereinzelt auch geschwisterliches Erbrecht. Schon seit dem 17. Jahr- 
hundert aber kam eine in viele Gesetze übergegangene andere Auffassung auf, die in der Ein- 
kindschaft einen Erbvertrag erblickt und daher die familienrechtlichen Wirkungen verneint oder 
beschränkt, den unierten Kindern aber ein im ganzen Umfange unentziehbares Vertragserbrecht 
zuspricht so auch RGer. VI Nr. 43, aber nur im Zweifel, vgl. RGer. XVII Nr. 32). Ver- 
tragsmäßige Abwandlungen begegnen namentlich durch Ausbedingung eines Voraus für die 
Vorkinder (nach Preuß. LR. obligatorisch) oder die Kinder der neuen Ehe. Die Einkindschaft 
endet durch Tod beider Eltern oder aller Kinder, durch gerichtliche Aufhebung, bisweilen auch 
durch Kinderlosigkeit der zweiten Ehe und durch Ehescheidung (gemeinrechtlich nicht, Seuff. 
XII Nr. 194). Eigene Kinder kann man in dritter und weiterer Ehe vereinkindschaften, durch 
Einkindschaft gewonnene Kinder nicht. 
Literatur: Ringelmann, Über die historische Ausbildung und rechtliche Natur der 
Einkindschaft, 1825. Hillebrand, Z. f. d. R. X 420 ff. H. Meyer, Die Einkindschaft, 1900. 
Kapitel IV. Vormundschaft. 
§ 113. Altersvormundschaft. Das altgermanische Vormundschaftsrecht war reines 
Familienrecht und beruhte auf dem Anfall der Munt an die zum Ersatz des Vaters berufenen 
Personen. Schon seit der fränkischen Zeit aber entwickelte sich eine ergänzende königliche
	        
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