Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

306 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts. 
würde ein ganz anderer Widerstand erwachsen sein. Was aber im letzten Grunde die Uberlegen- 
heit des römischen Rechts gegenüber den Nationalrechten, die es vorfand, ausmachte, und was 
ihm auch heute noch seine Bedeutung sichert, das ist auch nicht jene Universalität, die doch auf 
einem in vieler Beziehung anderen Kulturboden gewachsen war und darum für die moderne 
Welt immer noch sehr viel Fremdartiges in sich fassen mußte, das ist überhaupt nicht der In- 
halt der römischen Ordnung, nicht der Stoff, den die Rezeption uns übermittelt hat, sondern 
die Form, die diesem Stoff durch die römische Jurisprudenz gegeben worden war. Das römische 
Recht war unter allen Kulturrechten das erste und lange das einzige, das Gegenstand der Be- 
arbeitung durch eine hochentwickelte juristische Kunst gewesen ist; seine historische Rolle beruht 
auf der Eigenart dieser formal-technischen Ausgestaltung. 
Und hier stoßen wir nun allerdings auf etwas spezifisch Römisches: die juristische Anlage, 
die die Römer vor allen anderen Völkern auszeichnete, kraft deren sie die juristischen Lehrmeister 
der Welt geworden sind. Dieses Vorzugs waren die Römer selbst sich sehr wohl bewußt 1. 
Woher er stammt, wird der Forschung wohl immer verborgen bleiben. Jene Anlage war kein 
indogermanisches Erbteil; denn sie fehlt den anderen indogermanischen Völkern. Ob sie nur 
den Latinern eigen oder ihnen mit den verwandten italischen Stämmen gemein war, ob fremde 
Einflüsse, z. B. etruskische, ob und welche bestimmte vor aller Geschichte liegende historische 
Schicksale bei ihrer Entfaltung mitwirkten, — all das entzieht sich unserer Kenntnis. Wir 
müssen sie als Tatsache hinnehmen; diese Tatsache aber gibt dem römischen Recht seine Signatur. 
Gewiß steht sie in engem Zusammenhang mit der überlegenen politischen Befähigung des römi- 
schen Volks. Dasselbe Volk, in dessen Mitte sich der Staatsgedanke machtvoller als bei irgend- 
einem anderen antiken Volk entwickelte, das zu herrschen und gleichwohl in seiner guten Zeit 
im Innern und nach außen überall den politischen Notwendigkeiten Rechnung zu tragen ver- 
stand, ist auch am ehesten dahin gelangt, das Recht kunstmäßig zu behandeln und ihm so die 
Festigkeit zugleich und die Geschmeidigkeit zu verleihen, die durch das Bedürfnis des Lebens 
gefordert wird. 
8 2. Die Geschichte des römischen Rechts ist eines der merkwürdigsten historischen Phä- 
nomene. Wir sehen das Recht einer latinischen Landstadt, berechnet auf das Bedürfnis einer 
kleinen ackerbauenden Bevölkerung, sich im Lauf der Jahrhunderte entwickeln zum Recht eines 
Weltreichs mit Weltverkehr. Diese Entwicklung aber vollzieht sich, abgesehen von den Um- 
wälzungen der Verfassung, ohne schroffe Übergänge, nur wenig unterstützt von der Gesetz- 
gebung, wesentlich nur durch die Praxis und Jurisprudenz. Man hält konservativ am er- 
erbten Rechte fest, weiß es aber für die neuen Bedürfnisse umzubiegen und so brauchbar zu 
erhalten. Daneben treten neue Rechtsbildungen auf, zum Teil fremden Rechten entlehnt, 
zum Teil auf römischem Boden gewachsen; aber all das wird von der römischen Jurisprudenz 
in ihrem Geiste bearbeitet und gewinnt so formal ein entschieden römisches Gepräge. Das 
so entstandene Ganze ist keineswegs, wie man in früheren Jahrhunderten glaubte, ein ewiges 
absolutes Recht für alle Völker und Zeiten; aber sein Inhalt ist in einer Weise und Vollendung 
durchgebildet, daß insofern für alle Zeiten und Völker ein theoretisch und praktisch verwend- 
bares Vorbild gegeben ist. 
Die Darstellung der römischen Rechtsgeschichte muß sich an die allgemeine politische Ge- 
schichte der Römer anschließen. Namentlich sind die politischen Entwicklungsperioden, König- 
tum, Republik und Kaiserzeit mit ihren verschiedenen Phasen, auch für die Rechtsgeschichte als 
maßgebend festzuhalten. Eine genauere Periodisierung hat für die Rechtsgeschichte keinen 
Wert, die nicht einzelne Tatsachen, sondern die Entwicklung der Rechtsideen und institute, 
ihr Steigen und Sinken beschreiben soll. Selbst so sind die Grenzen fast nirgends scharf 
zu ziehen. 
Man pflegt bei der Rechtsgeschichte eine äußere und eine innere oder Geschichte der 
Rechtsquellen und der Rechtssätze zu unterscheiden. Für Detaildarstellungen ist dies auch 
zweckmäßig. An sich stehen aber natürlich beide in enger Verbindung und Wechselwirkung 
1 Cic. de orat. I 44, 197: incredibile est.., duam sit omne ius eivile praeter hoc nostrum 
inconditum ac paene ridiculum: de quc multa soleo in sermonibus cotidianis dicere, cum homi- 
num nostrorum prudentiam ceteris omnibus et maxime Graeecis antepono.
	        
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