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Die Ehe der römischen Blütezeit heißt die „freie“ im Gegensatz zu der archaischen, die
Frau in die Herrengewalt (manus) des Mannes stellenden. In der Tat ist „das Grundprinzip
für das römische Eherecht“ 1: libera matrimonia esse (Alex. C. 8, 38, 2). Das gilt von der Ehe-
schließung, die weder eine staatliche noch eine religiöse Form erfordert, von der persönlichen
und güterrechtlichen Stellung der Frau neben dem Mann und von der Scheidung. Wohl
kontrastiert diese abstrakte Freiheit mit dem tiefen Gedanken des Ehesakraments, keineswegs
aber etwa mit der Innigkeit der germanischen Ehe. Im Gegenteil galt nicht bloß allezeit die
völlige religiöse und wirtschaftliche Einheit des Hauses als Typus und Ideal, sondern gerade
die Juristen arbeiteten den sittlichen Charakter der Ehe ein für allemal heraus, indem sie ihre
Dauer und ihre Intensität aufs höchste gesteigert denken. „Ehe ist die Verbindung von Mann
und Frau und Genossenschaft des ganzen Lebens, die Gemeinschaft des göttlichen und mensch-
lichen Rechts“ lautet die Definition bei Mod. D. 23, 2, 1; von „ungeteilter Lebensgemeinschaft"
spricht Just. J. 1, 9, 1 nach einer klassischen Quelle. Die antike Auffassung geht zwar eher
von der Aufgabe der Ehe aus, eheliche Kinder zu erzeugen, und von ihrer Bedeutung, die
Monogamie zu sanktionieren, aber gerade die römischen Juristen betonten den honos matri-
monü (Ulp. D. 24, 1, 32, 13) und die Willensbindung gegenüber dem sinnlichen Element.
Wenn die Römer die theoretische Forderung gegenseitiger Achtung und Treue und des ehe-
männlichen Schutzes nicht viel mit rechtlichen Zwangsvorschriften durchsetzten, ja, wenn sie die
persönliche Freiheit wie im Eheschluß so in den ehelichen Beziehungen für das Wichtigste hielten,
so auch damit die Liebe keinen pekuniären Beigeschmack bekomme (D. 24, 1, 3), gerade die
Schenkungen unter Ehegatten verboten, so verdienen sie wohl nur den Vorwurf eines die
Menschen überschätzenden Liberalismus. Die Folge war sicherlich oft eine Beeinträchtigung
der Frau; gesetzlich hatte sie z. B. weder Unterhalts- noch Erbrechte von Belang. Immerhin
zählte man auf die üblichen Vertrags- und Legatssicherungen, und die „Lasten der Ehe“ treffen
den Mann. Auch ist als Folge jener Freiheit der Verfall aller Zucht berüchtigt. Aber es
gab doch eine Properzische Cornelia und die Turia, der ihr Mann die innigste Grabinschrift
setzte; man tut nicht gut, aus römischen Satiren und französischen Romanen, nach Seneca
und nach Schopenhauer ein Bild von Müttern und Gattinnen zu gewinnen. So ist auch der
Schluß aus den Augusteischen Ehegesetzen auf eine Verkommenheit aller römischen Schichten
so wenig ratsam, wie ein solcher aus den heutigen Gesetzesvorschlägen besorgter Beobachter
des Zweikindersystems wäre. Jedenfalls, den römischen Juristen, die der Ehefrau eine dem
Mann nahezu ebenbürtige Stellung einräumten und dazu in ihrer Familie ein gesetzliches volles
Kindeserbrecht, läßt es sich nicht verübeln, daß sie ihr nicht Sicherungen gegen den Mann
gaben, die kaum erst die jüngsten sozialen Bestrebungen durchzusetzen beginnen.
Auch zum Eheschluß gehört bereits die Willenserklärung der Brautleute neben derjenigen
des Gewalthabers (Paul. D. 23, 2, 2; Ulp. 5, 2); merkwürdigerweise soll gerade bei Töchtermn
der stillschweigende Vaterkonsens genügt haben (Jul.-Paul. D. 23, 1, 7, 1) und dieser Konsens
sogar durch die Behörde ersetzt werden?2. Geisteskrankheit des Gewalthabers befreit auch
Söhne seit Marc Aurel von seiner Zustimmung ()X.. 1, 10 pr.; C. 5, 4, 25).
Der Eheschluß läßt sich auch durch Brief oder Boten ausdrücken; nur wenn der Bräutigam
abwesend ist, wird wenigstens gefordert, daß die Braut ins Haus des Mannes geleitet werde
(domum ducere, Pomp. D. 23, 2, 5, Paul. S. 2, 19, 8). Im übrigen wird aus den religiösen
oder festlichen Zeremonien nach Lage des Falles der entscheidende Augenblick des Konsenses
ermittelt (Scaev. D. 24, 1, 66); auf die Copula carnalis kommt es nicht an (Ulp. D. 35, 1, 15).
Ausnahmsweise könnte also die Heirat gar nicht bewiesen werden; auch dann nehmen die
späteren Juristen im Zweifel Ehe an, nicht Konkubinat (Mod. D. 23, 2, 24).
Die persönliche Fähigkeit zur Ehe (conubium 9) fehlt den Nichtrömern einschließlich aller
Latini der Kaiserzeit, vorbehaltlich besonderer Verleihung. Die Ehe zwischen Nichtrömern
kann nach dem Recht einer Gemeinde gültig sein. Zwischen Römern und Peregrinen aber
1 Bruns, diese Enzykl. vor. Aufl. 399.
à Näheres Moriaud, Mél. Girard 2, 291, dessen Begründung, daß es auf Töchterehen
dicht p sehr ankam, etwas unglaublich klingt. — Über die Zustimmung des Vormunds Mitteis,
.,..
«Mitteis,PR.121—123.71;Wlassak,Prozeßgeietzel77f.