274 L. von Bar.
will gegen Angriffe von auswärts — in Frage, und je nachdem die einzelne Gesetzgebung das
eine oder das andere Prinzip oder beide angenommen hat, muß auch die Antwort verschieden
ausfallen. Vorzuziehen ist die Antwort im Sinne der ersten Alternative schon deshalb, weil der
Ort des Erfolges oft kaum bestimmbar ist (wo tritt z. B. oft der Erfolg einer Verleumdung ein?),
und weil die anderen Ansichten den Handelnden oft einem Strafgesetze unterwerfen, welches er
gar nicht kennen konnte. Indes folgt Gesetzgebung und Praxis häufig dem entgegengesetzten
Prinzip oder (und das ist die Praxis des deutschen Reichsgerichts) es wird Strafzuständig-
keit in Anspruch genommen sowohl wenn die Handlung, wie wenn der Erfolg im Territorium
in Erscheinung trat. Nur ein besonderer hierher gehöriger Fall ist enthalten in der Frage, welche
Strafgewalt kraft des Territorialitätsprinzips zuständig ist, wenn Anstiftung oder Beihilfe in
dem Lande A erfolgt, die Haupthandlung aber, auf welche die Anstiftung oder Beihilfe sich
bezieht, in einem anderen Lande ausgeführt wird. (Für Begünstigungshandlungen dürfte
noch weniger als für Anstiftung und Beihilfe die Strafzuständigkeit des Landes der Haupttat
begründet sein.) Aber die Straffreiheit (Erlaubtheit) der Handlung an dem Orte, an welchem
der Erfolg eintreten oder die Haupthandlung vorgenommen werden soll, muß der richtigen
Ansicht nach auch die Straffreiheit der auf den Erfolg gerichteten Handlungen (als solcher) zur
Folge haben, auch der Anstiftungs= und Beihilfehandlungen.
§ 57. 2. Straftilgungsgründe. Die Strafbarkeit einer Straftat, welche
zum Auslande in Beziehung steht, kann nach dem Gesetze des Auslandes erloschen, getilgt sein,
z. B. durch Verjährung, Begnadigung. Ist solche Tilgung der Strafbarkeit bei uns anzuerkennen,
wenn die Tat an sich unter die Strafzuständigkeit unseres Staates fällt? Fast selbstverständlich
ist hier der Satz, daß eine auswärts, einerlei in welchem Staate, vollzogene Strafc auf eine
bei uns in abstracto noch mögliche Strafe angerechnet werden, also die letztere ausschließen
muß, wenn sie der bei uns sonst zu erkennenden Strafe ungefähr gleichkommt. Freilich ist genaue
Vergleichung wegen Verschiedenheit der Strafarten und verschiedenen Vollzuges selbst der-
selben Strafart oft unmöglich; indes kleinliche Berechnung wäre mit Rücksicht auf die Ubel-
stände eines erneuerten Strafverfahrens nicht am Platze. Man wird aber eine nach dem Gesetze
des Tatorts (von dem dortigen Gerichte) erkannte und verbüßte Strafe, ohne Rücksicht auf ihre
etwa geringere Schwere, unbedingt als Tilgungsgrund auch bei uns anzuerkennen haben, wenn
man sogar die Straflosigkeit der Tat nach Maßgabe jenes Gesetzes bei uns gelten läßt, und ebenso
die nach dem dortigen Gesetze eingetretene Begnadigung und Verjährung, erstere
wenigstens dann, wenn man sie als Anwendung höherer Gerechtigkeit auf den einzelnen Fall
betrachtet, letztere deshalb, weil das Gesetz auch im Falle der Verjährung sagt: die Handlung
ist jetzt straflos, weil sie Hichtmehr strafbar ist. Das deutsche St G. erkennt aber nicht nur
diese nach dem Gesetze des Auslandes eingetretenen materiellen Straftilgungsgründe als bei
uns wirksam an, sondern auch den prozessualen Tilgungsgrund eines im Staate des
Tatortes ergangenen freisprechenden Urteils, eine Anerkennung, für welche erhebliche Zweck-
mäßigkeitsgründe sprechen. Man muß indes die beschränkende Voraussetzung machen, daß
die Freisprechung erfolgte, weil der Angeklagte nicht schuldig befunden oder ein Straftilgungs-
grund als vorliegend angesehen wurde; Freisprechung deshalb, weil die Strafzuständigkeit des
Staates verneint wurde, könnte unsere Strafzuständigkeit nicht ausschließen: Außerdem kann
von einer Wirksamkeit der nach dem Gesetze des Tatorts eingetretenen Straftilgungsgründe
da nicht die Rede sein, wo der Staat sich eine absolute, von dem Gesetze des Tatorts völlig un-
abhängige Strafgewalt zuschreibt, also insbesondere bei den sogenannten Staatsverbrechen;
nach dem deutschen StGB. bei Hoch= und Landesverrat sowie Beleidigung eines Bundesfürsten
durch einen Deutschen.
Welche Grundsätze in den in Angriff genommenen Reformgesetzgebungen des Deutschen
Reichs, Osterreichs und der Schweiz schließlich zur Geltung kommen werden, ist zurzeit (Früh-
jahr 1912) nicht vorherzusehen. Es besteht indes (leider) Neigung, neben dem Territorialitäts-
und dem aktiven Personalitätsprinzip auch das Schutzprinzip in erheblichem Mase anzunehmen.