Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

12 F. Wachenfeld. 
Auslieferung. Selbst die Verfolgung der im Inlande begangenen Delikte ist im 
Fall der Flucht des Verbrechers ins Ausland nicht ohne weiteres ausführbar. Der inländische 
Staat kann nur dann mit Hilfe des Auslandes zur Realisierung seines Strafanspruchs gelangen. 
Zu diesem Zwecke ist die Auslieferung des Verbrechers nötig. Die Grundsätze, nach denen sich 
dieser wichtigste Akt der internationalen Rechtshilfe regelt, bestimmen sich namentlich nach den 
besonderen Auslieferungsverträgen, welche das Reich bzw. die Einzelstaaten mit dem Aus- 
lande abgeschlossen haben. Der Inhalt derselben ist ein sehr verschiedener. Nur wenige all- 
gemeine Gesichtspunkte lassen sich aufstellen. 
Dahin gehört das Erfordernis, daß die Tat sowohl nach dem Rechte des ersuchenden als 
auch des ersuchten Staates strafbar und noch nicht strafrechtlich erledigt ist. Ferner muß der 
ersuchende Staat gewisse Beweise für die Schuld der begehrten Person erbringen. Dies ge- 
schieht durch Vorweisung einer gerichtlichen Entscheidung, aus welcher der begründete Ver- 
dacht der Täterschaft hervorgeht, wie z. B. eines Eröffnungsbeschlusses, eines Haftbefehls. Da 
nun die Auslieferung zu umständlich ist, um sie wegen jedes unbedeutenden Delikts ins Werk 
zu setzen, wird meist nur bei schwereren Delikten ausgeliefert. Doch, mag auch eine schwerere 
Strafe in Aussicht stehen, die Auslieferung findet nicht statt wegen politischer Delikte, was, um 
das Asylrecht nicht gegenstandslos zu machen, auf die mit den politischen Delikten in Zusammen 
hang stehenden anderen Verbrechen ausgedehnt werden muß. Nur wenn es sich um Königs- 
mord handelt, hört das Asylrecht auf (sog. belgische Attentatsklausel, benannt nach dem belgischen 
Gesetz vom 22. März 18560). 
Die Auslieferung erfolgt nicht stets an den ersuchenden, unter Umständen auch an den 
strafberechtigten Heimatstaat des Verbrechers. Regelmäßig wird sie versagt, wenn ein An- 
gehöriger des ersuchten Staates begehrt wird. In unserem Strafgesetzbuche ist die Auslieferung 
eines Deutschen an das Ausland direkt verboten (§ 9 StGB.). 
Zweiter Abschnitt. Das Verbrechen. 
Vorbemerkung. 
Unter Verbrechen versteht man eine vom Gesetz mit Strafe bedrohte schuldhafte Handlung. 
Damit wird also jedes Delikt bezeichnet. Das Reichsstrafgesetzbuch selbst begreift aber 
unter Verbrechen nur die schwerste Deliktsart. Es teilt nämlich, dem französischen Vorbild 
folgend, die Delikte nach der Höhe der Strafdrohung in Verbrechen, Vergehen und UÜber- 
tretungen ein (§5 1 StGB.). Diese Dreiteilung sollte ursprünglich die Grundlage für die Zu- 
ständigkeit der drei erkennenden Gerichte erster Instanz (Schwurgericht, Strafkammer, Schöffen- 
gericht) bilden. Aber die Strafkammer entscheidet auch über Verbrechen, das Schöffengericht 
auch über Vergehen. Somit hat die Einteilung ibren Hauptzweck verfehlt. Da sie nicht von 
der Art der Handlung, sondern von der Schwere ihrer Folgen hergenommen ist, 
kann ihr der Vorwurf der Außerlichkeit nicht erspart werden. Obwohl ihr die innere Berechti- 
gung mangelt, ist sie von größter praktischer Tragweite und hat z. B. Einfluß auf die Bemessung 
der Verjährungsfrist, auf die Bestrafung von Versuch und Beihilfe, auf die Bestrafung der im 
Auslande begangenen Delikte u. a. m. 
Soweit nichts Besonderes bemerkt ist, nehmen wir im folgenden „Verbrechen“ nicht im 
engeren Sinne des Strafgesetzbuches, sondern in der oben angegebenen weiteren Bedeutung. 
Jeder Verbrechensbegriff setzt sich aus einzelnen Begriffsmerkmalen zusammen. Von 
diesen gehören in die Darstellung des allgemeinen Teils nur diejenigen, welche wir bei jeder 
Verbrechensart finden. Sofern ohne sie ein Verbrechen überhaupt nicht vorliegt, sind sie wesent- 
liche Merkmale im Gegensatz zu außerwesentlichen, d. h. solchen, deren Vorhandensein nur eine 
besondere Erscheinungsform des Verbrechens ausmacht. Wir wenden uns zunächst den 
wesentlichen Merkmalen zu. Diese betreffen teils die objektive, teils die subjektive Seite 
des Verbrechens. Da das Verbrechen uns als äußeres Ereignis entgegentritt, so stellen 
wir, obwohl der Wille vor der Ausführung vorhanden ist, die Betrachtung der objektiven 
Merkmale voran.
	        
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