Full text: Die deutsche und die brandenburgisch-preußische Geschichte. Erster Teil: Die deutsche Geschichte bis zum westfälischen Frieden. (1)

Rückblick. 105 
nur sollten diese nicht gegen Kaiser und Reich gerichtet sein. 2. Der 
Kaiser stand zwar immer noch an der Spitze des Reiches, hatte aber 
eine nur wenig größere Bedeutung als irgendein Reichsstand; seine 
Einnahmen aus dem Reiche betrugen nur etwa 14000 Gulden. 3. Der 
Reichstag, aus den drei Kollegien der Kurfürsten, Fürsten und 
Städte zusammengesetzt, konnte bindende Beschlüsse nur durch Über— 
einstimmung aller drei Stände fassen. Seit 1663 tagte er beständig 
in Regensburg und wurde nicht mehr von den Fürsten selbst, sondern 
von ihren Gesandten besucht. 4. Die Kriegsmacht wurde im „Simplum“ 
auf 12000 Mann zu Roß und 28000 Mann zu Fuß festgesetzt, die 
auf die zehn Kreise verteilt wurden; beim Ausbruche eines Reichs- 
krieges wurde dann je nach Bedürfnis beschlossen, ob dieses Simplum 
zu verdoppeln oder zu verdreifachen usw. sei. 5. Das Reichs- 
kammergericht bestand zwar fort, geriet aber in immer größern 
Verfall. Die bedeutenderen Landesherren besaßen ohnehin die höchste 
Gerichtsbarkeit in ihrem Gebiete, und andrerseits waren Bestechung 
und Parteilichkeit der Richter sowie Verschleppung der Prozesse nichts 
Ungewöhnliches. — So war aus dem deutschen Reiche ein wunderliches, 
vom Auslande verspottetes Staatsgebilde geworden, ein lockerer und hin- 
fälliger Bund von 8 Kurfürsten, fast 200 Fürsten und 51 Reichsstädten! 
Rückblick. Der große Krieg brachte Deutschland insbesondere 
in wirtschaftlicher Beziehung, aber auch in Kunst und Wissenschaft um 
Jahrhunderte zurück. Er hatte den deutschen Boden in eine Wildnis 
verwandelt, die Städte entweder zerstört oder in ihrem Wohlstande 
vernichtet, die Zahl der Bewohner um zwei Drittel vermindert; Böhmen 
z. B. besaß vor dem Kriege 2 Millionen Menschen, nach demselben 800000, 
Württemberg vorher 400000, nachher 40000. Die Geldnot war 
durch die zahlreichen Heere schon in der ersten Zeit des Krieges so 
groß geworden, daß selbst viele Fürsten, auch der Kaiser zu Münz- 
fälschungen griffen. Uberhaupt war der sittliche und religiöse 
Zustand des Volkes, wie namentlich auch die damals zahlreichen 
Hexenprozesse beweisen, vollkommen verwahrlost, das Gefühl nationaler 
Selbständigkeit und Zusammengehörigkeit ganz geschwunden; selbst die 
deutsche Sprache, Sitte und Tracht nahmen viel Ausländisches, 
besonders Französisches, in sich auf. Ein lebensfrisches Bild von 
Menschen und Zuständen der damaligen Zeit gibt Grimmelshausen 
in seinem satirischen Roman „Der Simplizissimus“.
	        
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