90 Die Reformation bis zum Religionsfrieden 1555.
Evangelischen günstigen Beschluß des ersten Reichstages von Speier
wieder herstellen ließ. Auch in den folgenden Jahren war der Kaiser
nach außen hin so beschäftigt, daß er dem Umsichgreifen der neuen Lehre
keinen Einhalt tun konnte, ja die Protestanten erlangten in dieser
Zeit ein entschiedenes Übergewicht. Denn 1534 nahm das Herzogtum
Württemberg (unter Ulrich), 1539 das Kurfürstentum Branden—
burg (unter Joachim II.), in demselben Jahre das Herzogtum Sachsen
(unter Heinrich) und 1546 die Kurpfalz die Reformation an.
[Münster 1535.] In Westfalen wurde aber der Protestantis-
mus wieder zurückgedrängt, als die Wiedertäufer dort Eingang fanden.
Diese Glaubensgenossenschaft hatte sich trotz aller Verfolgungen in Süd-
deutschland und in den Niederlanden festgesetzt und schickte ihre Send-
boten auch nach Münster, wo der Prediger Rottmann bereits eine
evangelische Gemeinde gebildet hatte. Hierher kamen nun der Bäcker
Jan Matthys aus Harlem und der Schneider Jan Bockelson aus
Leyden, führten ein wiedertäuferisches Regiment mit Vielweiberei und
Gütergemeinschaft ein und rüsteten sich zum äußersten Widerstande.
Denn schon lagen vor den Toren die Truppen des vorher vertriebenen
Bischofs und anderer benachbarter Fürsten, die dem Greuel ein Ende
zu machen suchten. Nachdem der „Prophet“ Matthys bei einem Aus-
falle ums Leben gekommen war, bestieg Jan von Leyden als „König
des neuen Israels“ den „Stuhl Davids", und nun folgte eine Schreckens-
herrschaft gegen alle gemäßigten Bürger. Endlich, 1535, gelang den
Belagerern die Überwältigung der ausgehungerten Stadt, die furchtbar
gezüchtigt wurde und seitdem katholisch blieb.
[Schmalkaldener Krieg 1546—1547.] Als der Kaiser dann
mit den Franzosen einen Frieden und mit den Türken einen Waffen-
stillstand geschlossen hatte, um seine ganze Kraft auf die kirchliche Wieder-
vereinigung Deutschlands verwenden zu können, veranlaßte er zunächst
den Papst Paul III. zur Berufung eines allgemeinen Konzils, das
wirklich in Trient (Trident) zusammentrat und mit größeren Unter-
brechungen von 1545 bis 1563 dauerte. Die Protestanten verweigerten
aber die Beschickung dieser Kirchenversammlung, da sie voraussahen,
daß ihnen die Mehrheit feindlich gesinnt sein werde. Als daher eine
Einigung zwischen den Religionsparteien nicht zustande kommen konnte,
entschloß sich Karl zur Waffengewalt, um seine Absicht durchzusetzen.
So kam es zu dem sogen. Schmalkaldener Kriege (1546 bis
1547), vor dessen Ausbruch noch Luther am 18. Februar 1546 starb;