Friedrich Wilhelm der Große Kurfürst. 45
zum geringsten Teile durch den fast ganz in Verfall geratenen
Lehnsdienst, zum größten Teile durch Werbungen auf,
während an eine allgemeine Wehrpflicht noch nicht zu denken war.
Die Werbungen unterschieden sich aber von der bisher üblichen
Söldneranwerbung, die doch nur für bestimmte Fälle erfolgte, da-
durch, daß sie bei Abgängen sofort wieder ersetzt wurden, so daß von
nun an die Truppen ständiger, ihre Mannszucht strenger, ihre Be-
kleidung und Bewaffnung gleichmäßiger und die militärischen
Übungen regelmäßiger wurden. Auch die übrigen deutschen Fürsten
folgten bald dem Beispiele des Großen Kurfürsten und stellten eben-
falls solche Heere auf. Das brandenburgische nahm aber an
Tüchtigkeit den ersten Rang ein und wurde namentlich durch den
Feldzeugmeister Otto von Sparr und den Feldmarschall Georg
von Derfflinger, der einer armen Adelsfamilie aus Osterreich
angehörte und früher in schwedischen Diensten gestanden hatte, vor-
trefflich ausgebildet. Jener tat sich besonders im Festungsbau und
Artilleriewesen, dieser als Begründer der Reiterei hervor.
Volkswirtschaft. [Landwirtschaft.] Mit dem Großen Kur-
fürsten begann erst recht eigentlich eine planmäßige Volkswirt-
schaft in Brandenburg, wobei besonders Holland als Vorbild für
die Landwirtschaft und Frankreich als solches für Gewerbe und
Handel dienten. Seine eigenen Güter (Domänen) boten das Bei-
spiel einer Musterwirtschaft für Viehzucht, Ackerbau, Obst-,
Gemüse= und die ersten Kartoffelanpflanzungen dar. Er beries
tüchtige Ansiedler aus den Niederlanden und der Schweiz und über-
wies ihnen wüste Landstriche zur bessern Bodenbearbeitung. Er
schenkte armen Landleuten Saatkorn, Zugvieh und Ackergeräte zur
Bestellung der Felder, Holz und Geld zum Aufbau von Wohnungen
und Wirtschaftsgebäuden. Er ließ jeden Bauer bei seinem Hause
einen Baumgarten anlegen und jeden Bauernsohn vor seiner Ver-
heiratung wenigstens sechs Obstbäume veredeln und sechs junge
Eichen anpflanzen.
[Gewerbe.] Als Ludwig XIV. im Jahre 1685 das Edikt
von Nantes aufhob und damit den französischen Reformierten
(Hugenotten) die von Heinrich IV. (1598) gewährte religiöse
Duldung versagte, nahm Friedrich Wilhelm ohne Furcht vor dem
Zorne Ludwigs 20 000 solcher Flüchtlinge — meist geschickte und
wohlhabende Handwerker und Arbeiter — in seinem Lande auf.
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