104 Wilhelm II.
über unsre finanzielle Leistungsfähigkeit. Sie wußten nicht,
daß die Reichsbank vorsorglich einen gewaltigen Goldschatz an—
gesammelt hatte, und im Juliusturm zu Spandau lagen von 1871
her noch 120 Millionen Mark für die ersten Kriegstage bereit. Die
Kriegsanleihen und sonstiger Kriegsbedarf wie Leder und Kupfer
kamen aus dem eigenen Lande mit Leichtigkeit ein, während unfre
Feinde viele Milliarden für Waren ans Ausland zahlen mußten.
[Völkerrechtsbrüche unsrer Feinde und Ame-
rikas Kriegslieferungen.] Haätten sich unfre Feinde in den
Grenzen menschlicher Gesittung gehalten, so wäre der Weltkrieg in
wenigen Monaten zu unseren Gunsten entschieden worden. Dies
war aber nicht der Fall. England mißachtete überhaupt alle
völkerrechtlichen Bestimmungen, vergewaltigte die neutrale Handels-
schiffahrt und setzte den Krieg vielfach sogar auf neutralem Gebiete
fort. Seine Weltherrschaft über die Telegraphen, Kabel und Funken-
stationen benutzte es zu schamlosen Verleumdungen, die uns in den
Augen des Auslands herabsetzen und als „Barbaren“ kennzeichnen
sollten: wir hätten schwere Niederlagen erlitten, Kunstbauten ab-
sichtlich beschossen und die unterworfene Bevölkerung sowie die Ge-
fangenen grausam behandelt. In Wahrheit verschmähten unsere
Feinde selbst kein noch so abscheuliches Kampfmittel. Sie ver-
wendeten völkerrechtlich verbotene Dumdumgeschosse (so genannt
nach einer bei Kalkutta gelegenen Waffenfabrikstadt). Sie führten
die rohesten farbigen Krieger aus ihren außereuropäischen Kolonien
gegen uns zu Felde und ließen an den Bewohnern der zeitweise er-
oberten Gebiete (Ostpreußen, Elsaß und Galizien) die furchtbarsten
Grausamkeiten geschehen. Die Engländer trieben gefangene Deutsche
beim Angriff vor sich her und die Russen auch ihre eigene Land-
bevölkerung, um ihre militärischen Bewegungen dahinter zu ver-
bergen. Zu unseren Gegnern konnte man auch das „neutrale“
Amerika unter Präsident Wilson insofern rechnen, als es unseren
Feinden für viele Milliarden Geschosse, Geschütze und andere Bann-
waren lieferte und dadurch die Kriegsdauer wesentlich verlängerte.
Der westliche Kriegsschauplatz: a) Belgien. [Einnahme
von Lüttich, Brüssel, Namur, Antwerpen (9. 10. 14).1
Der Weltkrieg spielte sich in allen Erdteilen und fast auf allen
Ozcanen ab. In Europa unterschied man zunächst einen west-
lichen und einen östlichen Kriegsschauplatz. Deutsche Truppen