96 Wilhelm II.
schen Gesandtschaften hart belagern und die meisten zerstören. Ja
der deutsche Gesandte wurde von einem chinesischen Soldaten auf der
Straße ermordet. Alle Großmächte und Japan, das nach einem
glücklichen Kriege mit China (1895) ebenfalls zu ihnen gehört,
sendeten Truppen dorthin, über die der deutsche Feldmarschall Graf
Waldersee den Oberbefehl erhielt. Der chinesische Kaiser und
die eigentlich regierende Kaiserin-Witwe flohen in die Provinz
Schansi und kehrten erst nach Niederwerfung der Bewegung nach
Peking zurück. Es wurde 1901 Friede geschlossen, wonach China
die Kriegskosten zu zahlen und gewisse Handelsvorteile zuzugestehen
hatte.
Mit scharfem Verstande erkannte der Kaiser, daß der Schutz des
überseeischen Handels und der Deutschen im Auslande sowie die
ganze auswärtige Politik eine bedeutende Vergrößerung der
Kriegsflotte notwendig machte. Der Reichstag gab dem
Drängen der Regierung anfangs nur zaghaft nach, aber als einem
großen Teile des deutschen Volkes besonders infolge der Tätigkeit
des (1898 gegründeten) Flottenvereins das Verständnis für die Auf-
gaben der Flotte aufgegangen war, einigten sich Bundesrat und
Reichstag 1900 über ein umfassenderes, später noch erweitertes
Flottengesetz, das bis 1917 ausgeführt werden soll. In
Deutschland entstanden auch die ersten lenkbaren Luftschiffe,
deren Erfinder, Graf Zeppelin, die erste Fernfahrt vom Boden-
see zum Vierwaldstätter See am 1. Juli 1908 unternahm.
Wilhelms II. Regierung im Innern. [Deutsche Ansied-
lungen auf polnischem Sprachgebiet; Arbeiter-
fürsorge.] Seit Karl dem Großen waren die Deutschen ununter-
brochen bemüht, ihre alten Wohnsitze im Osten, die sie vor der
Völkerwanderung eingenommen hatten, zurückzugewinnen. Von der
Saale und Elbe her waren sie bis nach Ostpreußen, Posen und
Schlesien und darüber hinaus siegreich vorgedrungen. In den acht-
ziger Jahren des 19. Jahrhunderts regte sich aber in den über
3 Millionen zählenden Polen des Königreichs Preußen wieder ein-
mal der Wunsch nach nationaler Selbständigkeit. Sie verlangten
die polnische Sprache im Unterrichte der höheren und niederen
Schulen und besonders bei der Erteilung des Religionsunterrichts.
Um den Wühlereien Einhalt zu tun, beantragte die preußische
Regierung eine Summe von 100 Millionen Mark zur Ansied-