2. Kapitel: Friedensschluß nach deutschem Staatsrecht. 55
Der ratifizierte Staatsvertrag bindet also zunächst nur die
Staater als Kontrahenten und zwar einzig in den Fällen, in
welchen die Erfüllung des Vertrags lediglich durch die Staats-
regierung zu geschehen hat. Hier ist eine Publikation des Ver-
tragsinhaltes nicht notwendig. Geheime Staatsverträge haben
ebenso rechtliche Wirkung wie veröffentlichte. Aber ihre Rechts-
Kraft erstreckt sich nur auf die Staaten als Kontrahenten. Soll
jedoch ein Staatsvertrag auch nach innen Wirkung erhalten,
Behörden und Untertanen der einzelnen Kontrahenten verpflich-
ten, so genügt seine Erklärung an den Vertragsgegner nicht; es
bedarf vielmehr der Vertragsinhalt der Verordnungsklausel ½),
d. h. eines Befehls an alle der Staatsgewalt Unterworfenen,
den Vertrag zu beachten und zu befolgen.
Ein Auseinanderfallen der beiden einem solchen Vertrage
notwendig innewohnenden Wirkungen ist aber nun ohne Rechts-
verletzung nicht denkbar. Denn sobald ein Staatsvertrag, der
in das Gebiet der Gesetzessphäre eingreift, nach Feststellung des
Vertragsinhaltes durch die gesetzgebenden Faktoren die Sank-
tion und Ratifikation erhalten hat, muß der verfassungsmäßig
zustande gekommene Staatswille auch in der gesetzlichen Form
publiziert und damit zum verbindlichen Gesetz erhoben wer-
den.:) Wie die Verkündigung eines durch den Gerichtshof
aussetzung einen Gesetzgeber, der den Befolgungsbefehl erläßt, einen Richter, der die
in der Verletzung eines Rechtssatzes liegende Folge ausspricht, und das Moment des
Zwanges, der die Befolgung des Gesetzes sichern soll. Vgl. Bergbohm, a. a. O.
Das Wesen eines Rechtssatzes ist aber nicht notwendig an diese Erfordernisse geknüyft.
Es gibt positive Rechtssätze, welche nicht deshalb weniger Recht sind, weil ihre Ver-
letzung keine Rechtsfolge nach sich zieht, oder weil sie keinen Richter haben, der die
für die Uebertretung des Rechtssatzes sestgesetzte Rechtsfolge aussprechen soll. — Aus
solchen Rechtssätzen besteht auch das Völkerrecht eines Staates. Wie ein Gesetz einen
Gesetzgeber zur Voraussetzung hat, so entsteht das Völkerrecht aus „Orechtsetzenden
Willen“. Das Gesetz ist „nur eine Erscheinungsform des positiven Rechis und zwar
eine, die ausschließlich dem innerstaatlichen Recht angehört“. „Das Völkerrecht anderer-
seits hat auch ohne Gesetzgebung die Möglichkeit der ausdrücklichen Rechtsetzung durch
Vertrag, der als Erscheinungsform zwischenstaatlichen Rechts genau soviel bedeutet,
wie das Gesetz als Erscheinungsform des innerstaatlichen Rechts"“. Nippold,
a. a. O. S. 31.
1) Laband, a. a. O. S. 151.
2) Daß die bei Verkündigung von Staatsverträgen übliche Praxis im Reiche
unrichtig ist, wird von fast allen Schriftstellern schon seit Jahren, aber wie es scheint,
ohne Erfolg betont.