Kriegserklärung nach deutschem Völkerrecht. 91
die Konvention getroffenen Bestimmungen, wenn er eine Benach-
richtigung an seinen künftigen Feind richten und dann eine
Stunde, eine halbe Stunde, oder vielleicht in noch geringerer
Zeit mit seinen Truppen die Grenze überschreiten würde. Man
habe aber die plötzlichen Angriffe zwischen den Staaten ver-
meiden wollen, von denen die Geschichte so zahlreiche Fälle
liefert. Man brauche ja nur an das letzte beklagenswerte Bei-
spiel des russisch-japanischen Krieges zu erinnern.
Diese beiden Voraussetzungen einer vorausgehenden unzwei-
deutigen Benachrichtigung muß jede Kriegserklärung erfüllen,
wenn sie das Völkerrecht nicht verletzen will.
B. Außerdem hat jede der beiden Formen, in denen die
Kriegserklärung erfolgen kann, besonderen Erfordernissen zu
genügen.
1. Die eigentliche Kriegserklärung muß mit Gründen ver-
sehen sein. 1) Damit bezweckt die Konvention dem einen Krieg
beginnenden Staat „die Eröffnung der Feindseligkeiten zu er-
schweren für den Fall, daß er keinen vor der öffentlichen Mei-
nung vertretbaren Grund geltend machen könne. 2) Dieser Ge-
danke ist bereits in dem von Renault verfaßten Bericht des
Komitees an die Konferenz 3) ausgedrückt: „Un gouvernement
ne doit pas recourir à une rösolution aussi extröme qdue la
guerre sans la motiver. Jl faut due tout le monde, dans les
deux pays qui vont étre belligérants comme dans les pays
neutres, sache pourquoi Ion va 8e battre, afin qu’'un
1) Diese Verpflichtung zur Begründung der Kriegserklärung hat, wie
Renault in seinem Bericht a. a. O. S. 134 ausführt, bei der Beratung der
II. Unterkommission einige verfassungsrechtliche Bedenken erregt. Die Delegierten
von Kuba erklärten nänmlich: Da nach § 12 des Art. 59 der Verfassung von Kuba
das Recht, Krieg zu erklärcen, dem Kongreß zustehe, sei es ihnen unmöglich, einen
Akt zu unterschreiben, der dieses Recht des Kongresses beeinträchtige, indem ihm das
Recht genommen sei, dee Korm und die Bedingungen der Kriegserklärung zu be-
stimmen. Dagegen wies der General Porter darauf hin, der französische Vorschlag
einer motioierten Kriegserklärung stehe gar nicht im Widerspruch mit den Verfassungs-
bestimmungen von Kuba, nach denen der Kongreß das Recht zur Kriegserklärung
habe. Hier liege wohl eine Verwechslung vor, da man denselben Ausdruck: Kriegs-
erklärung gebrauche, um 1. die Ta'sache des Kriegbeschließens, und 2. die Tatsache
der Notisikation dieses Beschlusscs an den Gegner zu bezeichnen.
2) Huber, Jahrb. S. 543; ebenso Boidin S. 117.
5) Siehe Actes et documents I S. 132 ff.