der großen und fruchtbaren Kolonie zu verwenden.
Eine wesentliche Bedingung war, unter allen Um-
ständen nur ein solches Abkommen zu treffen, welches
auch für die Zukunft die Möglichkeit wirthschaft-
licher Bethätigung in den streitigen Gebieten
Deutschland auf alle Fälle sicherte.
Als es bekannt geworden war, daß die Orte
Gasa und Kunde, welche nach den deutschen Karten
im unzweifelhaft deutschen Schußgebiete lagen, von
französischen Expeditionen besetzt worden waren, legte
die Kaiserliche Regierung hiergegen in Paris Ver-
wahrung ein und bemühte sich, schleunigst mit Eng-
land zu einer Vereinbarung zu gelangen, welche die
Ernstlichkeit ihrer Absicht, bis zum Tschadsee das
Hinterland zu erstrecken, deutlich erkennen ließ.
An diesen Protest und an die französischerseits.
gegen den Abschluß des Abkommens vom 15. No-
vember 1893 in Berlin und London eingelegte Ver-
wahrung knüpften sich die am 6. Dezember 1893
zwischen deutschen und französischen Bevollmächtigten
begonnenen Verhandlungen.
In dieselben trat Deutschland mit der Rechts-
auffassung, welche auch von der Kaiserlichen Regie-
rung der französischen gegenüber stets und bestimmt
zum Ausdruck gebracht war, ein, daß nach dem Ab-
kommen vom 24. Dezember 1885 sämmtliche Gebiete
westlich des 15.5° ö. Gr. bis zum Tschadsee zur
bisher deutscherseits auf Grund der deutschen Karten
angenommen wurde und Anlaß zu dem vorerwähnten
deutschen Interessensphäre gehörten, daß deshalb das
Vordringen der Franzosen nach Gasa, Kunde und
Ngaundere eine Vertragsverletzung in sich schlösse,
und es sich nur um Verständigung über die Gebiete
östlich des erwähnten Längengrades handeln könnte.
Dieser Standpunkt wurde nicht ausgegeben. Fran-
zösischerseits war einer solchen Auslegung des Ab-
kommens vom 24. Dezember 1885 stets wider-
sprochen worden. Man hob hervor, daß es sich
damals nur darum gehandelt habe, für die Aus-
breitung der beiderseitigen Herrschaft von der Küste
aus ein gewisses freies Hinterland zu erhalten, und
daß man deshalb, da nur eine Demarkationslinie
gezogen sei, prüfen müsse, wie weit diese Herrschaft
zu begründen, in der Absicht der vertragschließenden
Theile gelegen häbe. In dieser Hinsicht wurde
geltend gemacht, daß zur Zeit des Abschlusses des
deutsch = französischen Abkommens von 1885 die
alleinige Westgrenze des deutschen Schutgebietes
Kamerun nach der damaligen Uebereinkunst mit
England im Nordwesten nur bis zu den Strom-
schnellen des Alt-Kalabar-Flusses gereicht habe.
Dieses englische Abkommen gebe einen festen Anhalt
zur richtigen Auslegung der deutsch-französischen
Vereinbarung. Denn nach der Theorie des Hinter-
landes könne das Abkommen vom Jahre 1885,
welches jedem Theile ein gewisses Hinterland sichern,
darüber hinaus aber Spielraum für den sreien
Wettbewerb lassen wollte, so weit das deutsche Ein-
flußgebiet in Frage komme, nur so verstanden werden,
daß als Südgrenze desselben die im Vertrag von
1885 festgesetzte Linie bis zum 15.7° ö. Gr., im
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Norden aber der durch die Schnellen des Alt-
Kalabar-Flusses gehende Breikenparallel (etwa der
6.“ u. Br.) und im Osten der 15.“ ö. Gr. ge-
meint sei.
Dieses wie oben gekennzeichnete Gebiet, welches
auch von Frankreich unzweifelhaft als deutsche Inter-
essensphäre betrachtet wurde, wollten französische
Reisende wissentlich nie betreten haben.
Gegen die deutsche Auslegung des Vertrages,
welche den 15.7 ö. Gr. bis zum Tschadsee verlängerte,
hat man französischerseits stets eingewandt, daß da-
durch dem Abkommen von 1885 ein zu dehnbarer
und daher völkerrechtlich unhaltbarer Umfang ge-
geben werde, denn es sei eigentlich willkürlich, wenn
man den Tschadsee als äußerste deutsche Grenze ansehe,
und man könne ebenso gut das deutsche Hinterland
bis zum Mittelmeer oder dem sonst auerkannten
Besitz einer civilisirten Macht erweitern. Unmöglich
hätte eine solche Unbestimmtheit in dem Willen der
vertragschließenden Theile gelegen. Die französische
Auffassung stützte sich insbesondere auch auf die
thatsächlich von Frankreich in dem sogenannten freien
Gebiete ausgeübte Herrschaft, während Deutschland
auf eine solche für seine Auffassung nicht zu ver-
weisen vermochte. Nach dieser französischen Aus-
legung lag auch in der Besetzung von Gasa und
Kunde keine Verleßung des Abkommens, wie sie
Protest gegeben hatte.
Die Besebung von Gasa wie überhaupt die
Besitzergreifungen in dem Gebiet des oberen Sanga
wurden mit der Vorlage von Karten gerechtsfertigt,
auf denen die in Besitz genommenen Gebiete östlich
des 15.° ö. Gr. lagen.
Der wesentliche Theil der Originalmaterialien,
welche diesen neuen Karten zu Grunde lagen, wurde
geprüft und um ganz sicher zu gehen, wurden
namentlich die astronomischen Längenbestimmungen
de Brazzas aus Bania, welche einen Angelpunkt
der französischen Karten bildeten, zur Beurtheilung
in Urschrift einem anerkannten Fachmann, dem ersten
Observator an der Universitäts-Sternwarte in Leipzig
Dr. Peter übergeben, der nach sorgfältiger Prüsung
das in der Anlage abgedruckte Gutachten erstattet
hat, worin er die französischerseits aus diesen Beob-
achtungen abgeleitete geographische Länge von Bania
bis auf eine ganz bedeutungslose Abweichung als
richtig anerkennt.
Die großen Unterschiede in der Lage von Gasa
und dem ganzen Sangagebiet in den deutschen und
französischen Karten konnten den Sachverständigen
nicht überraschen. Beruhte doch die Angabe der
Lage dieses Ortes, der vor den Franzosen nie
von cinem Weißen erreicht worden war, auf Er-
kundigungen, die R. Flegel 1882 bei seinem mehr-
monatlichen Aufenthalt in Ngaundere von den
eingeborenen Händlern eingezogen und auf einer
vorläufigen, die angeführten Ergebnisse seiner Reise