Full text: Deutsches Kolonialblatt. X. Jahrgang, 1899. (10)

— 100 
Pufferstaaten würde man sie mit moderner Bezeich- 
nung nennen — beschränkte, ging Alles sehr glatt. 
Daß aber mit dem Moment, wo er auf das Gebiet 
des großen Nachbarreiches übergriff, Komplikationen 
von unabsehbarer Tragweite eintreten mußten, liegt 
auf der Hand. Und das geschah mit einem Einfall 
in Adamaua, 1) dem großen südöstlichen Vasallen- 
staat von Sokoto, bei dem er große Beute besonders 
an Sklaven heimbrachte. Jeztzt rafften sich die Statt- 
halter der benachbarten Haussastaaten aus der In- 
dolenz, mit der sie bisher den Erfolgen Räbahs 
zugesehen hatten, zu energischem Handeln auf. 
Mußten sie doch darauf gefaßt sein, daß es ihnen 
demnächst selbst an den Kragen gehen könnte. Was 
politische Einsicht nie vermocht hätte, bewirkte die 
Furcht: sie vereinigten sich zu einem Bunde zwecks 
gemeinsamer Abwehr im Falle des Angriffs auf 
einen der Verbündeten. Besonders gefährlich war 
für Räbah der Umstand, daß sich sein Schwieger- 
vater und bisheriger Bundesgenosse Hajato der Liga 
anschloß. Obwohl dieser sein Reich Gamärè in 
politischer Rivalität zum Hofe von Wurno gegründet 
hatte,?) fühlte er doch in seinem Herzen fulbisch 
genug, als daß er nicht die Interessen seiner Stammes- 
genossen, wo es sich um Sein oder Nichtsein han- 
delte, zu den seinigen gemacht hätte. Zunächst ver- 
suchte er es mit diplomatischer Intervention. Als 
aber Räbah im Vollgefühl seiner Macht diese stolz 
zurückwies, trat Hajato als Führer an die Spitze 
des Bundes. Sei es nun, daß Räbah die Streit- 
kräfte dieses Bundes selbst, sei es, daß er die da- 
hinter stehende britische Macht oder was sonst 
fürchtete, gewiß ist, daß er einstweilen von weiteren 
Versuchen auf Sokoto abstand — geplant soll noch 
ein Unternehmen auf Kano gewesen sein — und sich 
einer Aufgabe zuwandte, die noch in seinem eigenen 
Reichsgebiete ihrer Erledigung harrte: der Wieder- 
eroberung des unbotmäßigen Sinder. Der Herrscher 
dieser nordwestlichsten Provinz von Bornu, der sich 
schon zur Zeit von Scheich Omar häufig aufsässig 
  
gezeigt.) hatte die Wirren der letzten Jahre dazu 
benutzt, sich auch nominell unabhängig zu machen, 
und auch das östlich davon belegene Munio seinem 
Gebiete einverleibt. Nach sorgfältiger Vorbereitung 
machte sich Räbah gegen Mitte 1897 auf den 
Marsch; er sollte lebend in seine Hauptstadt nicht 
wieder zurückkehren. Mallam Hajato, der nach dem 
Muster orientalischer Despoten die List für den 
besseren Theil der Tapferkeit erachtete, ließ ihm 
durch seine Tochter, die, wie oben erwähnt, mit 
Räbah verheirathet war, auf dem Wege nach Sinder 
Gift reichen, das den noch rüstigen Krieger inmitten 
seiner Thätigkeit im Alter von 58 Jahren dahin- 
rasste. 
10) Mit seinem größten Theil zur deutschen Interessen- 
sphäre gehörend. 
2) Hajato war der Sohn des Prinzen Saldu, Enkel 
Reichöbegründers Otmän dan Fodio. 
3) Vergl. Nachtigal, Sahara und Sudan, 1, 730. 
  
Bei der Beurtheilung Räbahs müssen wir uns 
hüten, uns auf den Standpunkt christlicher Huma- 
nität zu stellen; er muß aus dem Charakter seines 
Volkes und seiner Religion heraus begriffen werden, 
die Manches für erlaubt erklären, was uns als 
scheußliche Grausamkeit gilt. Nach Tausenden zählen 
die Unglücklichen, die, durch ihn zu Sklaven gemacht, 
entweder im Sudan selbst oder nach Norden ver- 
kauft worden sind. Ich selbst habe in Tunis und 
Tripolis eine ganze Anzahl Individuen gesehen, die 
die bekannten drei schrägen Narben auf jeder Wange 
als Räbahsklaven kenntlich machten. Und wie der 
Kenner der Verhältnisse weiß, kommen auf jeden an 
das Ziel gelangten Sklaven etwa fünf andere Indi- 
viduen, die in dem der Erbeutung der Sklaven 
vorausgehenden Kampfe oder beim Transport oder 
auch durch Krankheiten infolge von Klimawechsel zu 
Grunde gegangen sind. Bildet diese Unsumme von 
Elend und zerstörtem Familienglück eine furchtbare 
Anklage für den Urheber derselben, so müssen wir 
uns doch auch wiederum bewußt werden, daß diese 
Sklavenjagden bei Räbah nicht Selbstzweck, sondern 
nur Mittel zum Zweck gewesen sind, daß er es nicht 
nur verstanden hat, zu zerstören, sondern auch auf- 
zubauen. Wenn wir bedenken, wie er, Sultan von 
Bornu geworden, thatkräftig bemüht war, durch eine 
ganze Reihe von friedlichen Maßnahmen den Wohl- 
stand des Landes zu heben, so söhnt das einiger- 
maßen mit seinen Missethaten aus, und wir können 
unser Urtheil in die Worte zusammenfassen: er war 
ein ganzer Mann. In gewisser Hinsicht kann man 
ihn als den Sauerteig des Sudan bezeichnen; für 
Bornu speziell war seine Mission ebenso historische 
Nothwendigkeit wie für das römische Weltreich die 
Völkerwanderung. Ob seine „Dynastie“ Bestand 
haben wird, wer kann es wissen? Geht sie mit ihm 
zu Grunde, so liegt die Schuld nicht an ihm, sondern 
an der Ungunst der Verhältnisse. 
Was ich über die Ereignisse nach seinem Tode 
habe in Erfahrung bringen können, ist, daß einer 
seiner Freigelassenen im Namen seiner unmündigen 
Kinder die Regentschaft übernommen und die Inte- 
grität des Reiches bis jetzt auch zu wahren gewußt 
hat. Wenn nun Herr Bonnel de Mezibres und nach 
ihm die Zeitungen melden, daß „Räbah“ den König 
Gaurang von Bagirmi vertrieben und dessen Haupt- 
stadt Massenja eingenommen habe, so kann es sich 
nur um diesen Regenten handeln, falls die Nachricht 
in dieser Form überhaupt zutrifft. Nicht unmöglich 
nämlich ist es, daß der Eroberer der König von 
Wadai ist, der ja im Verhältniß eines Souzeräns 
zu Bagirmi steht.1) Und einmal ist ja früher schon, 
da der Vasallenfürst Abu Sikkin sich unbotmäßig 
zeigte, Massenja vom König Ali von Wadai nach 
mehrmonatlicher Belagerung eingenommen worden.2) 
des Sultans Muhammed Bello und somit Urenkel des 1 LI## W Vergl. Nachtigal, Sahara und Sudan II, 712 ff., 
2) Ebenda II, 726.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.