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Pufferstaaten würde man sie mit moderner Bezeich-
nung nennen — beschränkte, ging Alles sehr glatt.
Daß aber mit dem Moment, wo er auf das Gebiet
des großen Nachbarreiches übergriff, Komplikationen
von unabsehbarer Tragweite eintreten mußten, liegt
auf der Hand. Und das geschah mit einem Einfall
in Adamaua, 1) dem großen südöstlichen Vasallen-
staat von Sokoto, bei dem er große Beute besonders
an Sklaven heimbrachte. Jeztzt rafften sich die Statt-
halter der benachbarten Haussastaaten aus der In-
dolenz, mit der sie bisher den Erfolgen Räbahs
zugesehen hatten, zu energischem Handeln auf.
Mußten sie doch darauf gefaßt sein, daß es ihnen
demnächst selbst an den Kragen gehen könnte. Was
politische Einsicht nie vermocht hätte, bewirkte die
Furcht: sie vereinigten sich zu einem Bunde zwecks
gemeinsamer Abwehr im Falle des Angriffs auf
einen der Verbündeten. Besonders gefährlich war
für Räbah der Umstand, daß sich sein Schwieger-
vater und bisheriger Bundesgenosse Hajato der Liga
anschloß. Obwohl dieser sein Reich Gamärè in
politischer Rivalität zum Hofe von Wurno gegründet
hatte,?) fühlte er doch in seinem Herzen fulbisch
genug, als daß er nicht die Interessen seiner Stammes-
genossen, wo es sich um Sein oder Nichtsein han-
delte, zu den seinigen gemacht hätte. Zunächst ver-
suchte er es mit diplomatischer Intervention. Als
aber Räbah im Vollgefühl seiner Macht diese stolz
zurückwies, trat Hajato als Führer an die Spitze
des Bundes. Sei es nun, daß Räbah die Streit-
kräfte dieses Bundes selbst, sei es, daß er die da-
hinter stehende britische Macht oder was sonst
fürchtete, gewiß ist, daß er einstweilen von weiteren
Versuchen auf Sokoto abstand — geplant soll noch
ein Unternehmen auf Kano gewesen sein — und sich
einer Aufgabe zuwandte, die noch in seinem eigenen
Reichsgebiete ihrer Erledigung harrte: der Wieder-
eroberung des unbotmäßigen Sinder. Der Herrscher
dieser nordwestlichsten Provinz von Bornu, der sich
schon zur Zeit von Scheich Omar häufig aufsässig
gezeigt.) hatte die Wirren der letzten Jahre dazu
benutzt, sich auch nominell unabhängig zu machen,
und auch das östlich davon belegene Munio seinem
Gebiete einverleibt. Nach sorgfältiger Vorbereitung
machte sich Räbah gegen Mitte 1897 auf den
Marsch; er sollte lebend in seine Hauptstadt nicht
wieder zurückkehren. Mallam Hajato, der nach dem
Muster orientalischer Despoten die List für den
besseren Theil der Tapferkeit erachtete, ließ ihm
durch seine Tochter, die, wie oben erwähnt, mit
Räbah verheirathet war, auf dem Wege nach Sinder
Gift reichen, das den noch rüstigen Krieger inmitten
seiner Thätigkeit im Alter von 58 Jahren dahin-
rasste.
10) Mit seinem größten Theil zur deutschen Interessen-
sphäre gehörend.
2) Hajato war der Sohn des Prinzen Saldu, Enkel
Reichöbegründers Otmän dan Fodio.
3) Vergl. Nachtigal, Sahara und Sudan, 1, 730.
Bei der Beurtheilung Räbahs müssen wir uns
hüten, uns auf den Standpunkt christlicher Huma-
nität zu stellen; er muß aus dem Charakter seines
Volkes und seiner Religion heraus begriffen werden,
die Manches für erlaubt erklären, was uns als
scheußliche Grausamkeit gilt. Nach Tausenden zählen
die Unglücklichen, die, durch ihn zu Sklaven gemacht,
entweder im Sudan selbst oder nach Norden ver-
kauft worden sind. Ich selbst habe in Tunis und
Tripolis eine ganze Anzahl Individuen gesehen, die
die bekannten drei schrägen Narben auf jeder Wange
als Räbahsklaven kenntlich machten. Und wie der
Kenner der Verhältnisse weiß, kommen auf jeden an
das Ziel gelangten Sklaven etwa fünf andere Indi-
viduen, die in dem der Erbeutung der Sklaven
vorausgehenden Kampfe oder beim Transport oder
auch durch Krankheiten infolge von Klimawechsel zu
Grunde gegangen sind. Bildet diese Unsumme von
Elend und zerstörtem Familienglück eine furchtbare
Anklage für den Urheber derselben, so müssen wir
uns doch auch wiederum bewußt werden, daß diese
Sklavenjagden bei Räbah nicht Selbstzweck, sondern
nur Mittel zum Zweck gewesen sind, daß er es nicht
nur verstanden hat, zu zerstören, sondern auch auf-
zubauen. Wenn wir bedenken, wie er, Sultan von
Bornu geworden, thatkräftig bemüht war, durch eine
ganze Reihe von friedlichen Maßnahmen den Wohl-
stand des Landes zu heben, so söhnt das einiger-
maßen mit seinen Missethaten aus, und wir können
unser Urtheil in die Worte zusammenfassen: er war
ein ganzer Mann. In gewisser Hinsicht kann man
ihn als den Sauerteig des Sudan bezeichnen; für
Bornu speziell war seine Mission ebenso historische
Nothwendigkeit wie für das römische Weltreich die
Völkerwanderung. Ob seine „Dynastie“ Bestand
haben wird, wer kann es wissen? Geht sie mit ihm
zu Grunde, so liegt die Schuld nicht an ihm, sondern
an der Ungunst der Verhältnisse.
Was ich über die Ereignisse nach seinem Tode
habe in Erfahrung bringen können, ist, daß einer
seiner Freigelassenen im Namen seiner unmündigen
Kinder die Regentschaft übernommen und die Inte-
grität des Reiches bis jetzt auch zu wahren gewußt
hat. Wenn nun Herr Bonnel de Mezibres und nach
ihm die Zeitungen melden, daß „Räbah“ den König
Gaurang von Bagirmi vertrieben und dessen Haupt-
stadt Massenja eingenommen habe, so kann es sich
nur um diesen Regenten handeln, falls die Nachricht
in dieser Form überhaupt zutrifft. Nicht unmöglich
nämlich ist es, daß der Eroberer der König von
Wadai ist, der ja im Verhältniß eines Souzeräns
zu Bagirmi steht.1) Und einmal ist ja früher schon,
da der Vasallenfürst Abu Sikkin sich unbotmäßig
zeigte, Massenja vom König Ali von Wadai nach
mehrmonatlicher Belagerung eingenommen worden.2)
des Sultans Muhammed Bello und somit Urenkel des 1 LI## W Vergl. Nachtigal, Sahara und Sudan II, 712 ff.,
2) Ebenda II, 726.