Full text: Deutsches Kolonialblatt. XIV. Jahrgang, 1903. (14)

Welt ihren Anteil gleichfalls zu empfinden, und aller 
Vorteil, welchen sie von ihrer entfernten Lage hatten, 
bestand bloß darin, daß sie 100 oder 200 Jahre 
später zu Grunde gingen. Man moöchte vielleicht 
zweiseln, ob die Anzahl der Einwohner zu Tinian, 
welche nach Guam verbannt wurden und welche sich 
dort zu Tode grämten, wirklich so groß gewesen sei, 
als wir oben gemeldet haben. Allein der überein- 
stimmenden Erzählung unserer Gefangenen sowie der 
Bequemlichkeit und großen Fruchtbarkeit der Insel 
nicht zu gedenken, so findet man darauf noch einige 
Denkmäler, welche beweisen, daß sie vorzeiten unge- 
mein stark bewohnt gewesen. Denn es sind in allen 
Gegenden der Insel sehr viele Stücken eingefallener 
Gebäude von einer ganz besonderen Art. Sie be- 
stehen gemeiniglich in zwei Reihen viereckiger Pyra- 
midensäulen, davon eine jede ungefähr sechs Schuh 
von der anderen steht, und die Weite zwischen den 
Reihen beträgt ungefähr zwölf Schuh. Der Fuß der 
Säulen selbst hat fünf Quadratschuh und die Höhe 
13 Schuh. Auf der Spitze einer jeden ist eine halbe 
Kugel, deren flacher Teil aufwärts steht. Die Säulen 
nebst der halben Kugel sind ein dichtes und festes Stück, 
welches aus Sand und Steinen besteht, die zusammen- 
gekittet und mit Gips beworfen sind. Wenn die Nach- 
richt, welche unsere Gefangenen uns von denselben 
gaben, sich der Wahrheit gemäß befand, so muß die 
Insel in der Tat sehr volkreich gewesen sein, denn sie 
versicherten uns, daß diese Säulen der Grund gewisser 
Gebäude wären, die besonders nur für diejenigen 
Indianer aufgeführt worden, welche ein geistliches 
Gelübde getan hatten, und man findet oft bei vielen 
heidnischen Völkern Mönchsorden. Unterdessen, wenn 
auch diese Stücken alter Gebäude ursprünglich der 
Grund gemeiner Wohnhäuser der Einwohner wären, 
so muß ihre Anzahl beträchtlich gewesen sein. Denn 
m manchen Gegenden der Insel findet man sie über- 
aus häufig, und sie beweisen also die Menge der 
Leute zur Genüge, die vormals ihren Aufenthalt 
allhier gehabt haben. Aber ich wende mich nun 
wieder zu dem gegenwärtigen Zustande der Insel. 
Nachdem ich von den Bequemlichkeiten dieses Orts, 
von der Vortrefflichkeit und Menge seiner Früchte 
und Lebensmittel, von der Schönheit seiner Ebenen, 
von dem herrlichen Ansehen, der Kühle und dem 
lieblichen Geruche der Wälder, von der sowohl in 
die Augen fallenden Ungleichheit des Bodens und 
der Verschiedenheit und Anmut der Aussichten, die 
man daher bekam, schon Erwähnung getan habe, so 
muß ich nun anmerken, daß alle diese Vorzüge durch 
die Gesundheit der Himmelsgegend, durch die fast 
beständigen küblen Winde, die hier wehen und durch 
die oftmaligen Regengüsse sehr erhöht wurden. Diese 
dauerten zwar nicht lange, ja meistens nur einige 
Augenblicke, allein sie hatten etwas überaus Ange- 
nehmes und Erfrischendes, und waren vielleicht eine 
Ursache der gesunden Luft und des ungemeinen Ein- 
flusses, welchen dieselbe, wie wir wahrnahmen, bei 
uns hatte, indem dadurch die Lust zum Essen und 
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die Verdauung vermehrt und befördert ward. Diese 
Lust zum Essen war in der Tat merkwürdig, weil 
diejenigen von unseren Offizieren, welche sonst allezeit 
wenig und mäßig aßen und die, außer einem kleinen 
Frühstück, des Tages nur eine mittelmäßige Mahlzeit 
taten, dem Ansehen nach allhier in Vielfräße ver- 
wandelt wurden, denn statt einer guten Mahlzeit 
von Fleisch, begnügten sie sich jetzo kaum mit dreien, 
und eine jede davon war so stark, daß sie sonsten 
ein Fieber oder einen verdorbenen Magen verursacht 
haben würde. Allein unsere Verdauung war der 
starken Lust zum Essen so gemäß, daß wir uns durch 
diese große Mahlzeiten kein Ungemach zuzogen, noch 
zu viel aßen; denn wenn wir, nach der Gewohnheit 
auf der Insel, ein großes Frühstück von Rindfleisch 
eingenommen hatten, so fingen wir bald darauf an 
zu wünschen, daß es schon Mittag wäre, und die 
Zeit ward uns danach lange. 
Nachdem ich nun in meinen dieser Insel beige- 
legten Lobsprüchen so weitläufig gewesen bin, worin 
ich ihr doch, wie ich mir einbilde, nicht genugsam 
Gerechtigkeit habe widerfahren lassen, so halte ich es 
für nötig, etwas von den Umständen, die darin ent- 
weder in Betrachtung der Schönheit oder des Nutzens 
mangelhaft sind, zu erwähnen. 
Was zuerst das Wasser betrifft, so muß ich ge- 
stehen, daß, ehe ich diesen Fleck gesehen hatte, ich mir 
nicht einbilden konnte, daß der Mangel an fließendem 
Wasser, welches hier gar nicht vorhanden ist, auf 
eine andere Weise so wohl ersetzet werden könnte, 
als wirklich auf dieser Insel geschieht. Denn ob sich 
gleich keine Ströme darauf befinden, so ist doch das 
Wasser aus den Brunnen und Quellen, welche man 
allenthalben nahe an der Oberfläche antrifft, ungemein 
gut, und mitten auf der Insel gibt es zwei oder 
drei große Stellen mit vortrefflichem Wasser, deren 
Ufer so schön und eben ist, als wenn es ein zum 
Zierrate des Platzes mit Fleiß angelegtes Wasser- 
behältnis wäre. 
Was den Aufenthalt auf der Insel am meisten 
beschwerlich macht, ist die große Menge von Mücken 
und verschiedene andere Arten von Fliegen nebst den 
sogenannten Hundsläusen. Und obgleich dieselben 
nur vornehmlich an das Vieh gewöhnt sind, so fallen 
sie doch auch öfters auf den Leib und die Glieder 
eines Menschen, und wenn man sie nicht wahrnimmt 
und beizeiten von sich schafft, so graben sie sich mit 
dem Kopfe unter die Haut und verursachen eine 
schmerzliche Entzündung. Wir fanden hier auch 
Centipedes oder Krautwürmer und Skorpione, welche 
wir für giftig hielten; allein keiner unter uns ward 
jemals von ihnen beschädigt. 
Aber der wichtigste Fehler dieses Orts und welchen 
man am meisten zu fürchten hat, ist noch übrig. Dies 
ist die Unbequemlichkeit der Reede und die wenige 
Sicherheit, die ein vor Anker liegendes Schiff allhier 
in gewissen Jahreszeiten hat. Die einzige bequeme 
Ankerstelle für schwere Schiffe ist an der südwestlichen 
Spitze der Insel. Hier legte sich der „Centurion“ in
	        
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